Jung, muslimisch, österreichisch

Jung muslimisch oesterreichisch
Jung muslimisch oesterreichisch(c) Clemens Fabry
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Der Wahlkampf in Wien heizt den Streit um Islam und Moscheen an. Doch die immer breitere Mitte – und vielleicht auch die Zukunft – besetzen andere: junge Muslime, die sich selbstbewusst für die Symbiose von "religiös" und "österreichisch" entschieden haben.

Was wäre ein Wiener Wahlkampf ohne das alte Thema Religionsstreit: zwischen einer „Gastkultur“, die sich aus vielen Gründen zunehmend von ihrem Glauben abwendet – siehe den Anstieg der Kirchenaustritte in diesem Jahr – und einer Zuwandererkultur, deren islamisches Glaubensbekenntnis deshalb umso mehr als Bedrohung empfunden wird.

In der derzeitigen Schlammschlacht rund um Moscheen mit und ohne Minarett, angeheizt von der steten, latenten Angst, dass dort hinter verschlossenen Türen eine gewaltbereite Gruppe unter dem Motto „jung, männlich, muslimisch“ heranwachsen könnte, geht allerdings eine andere Entwicklung unter: die einer wachsenden Mittelklasse von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die sich recht selbstbewusst in einer Symbiose von „sehr wohl religiös“ und „dennoch österreichisch“ eingerichtet haben. Deren Glauben ihre österreichischen Freunde nicht nur nicht abschreckt, sondern einige davon sogar zur Nachahmung inspiriert.

Die Politologin und Islamwissenschaftlerin Amena Shakir warnt zwar davor, in Bezug auf die Religiosität „von einer homogenen Gruppe muslimischer Jugendlicher“ zu sprechen, hat bei ihrer Arbeit als muslimische Seelsorgerin diesen Trend aber ebenfalls festgestellt: Hier lebende junge Muslime verstünden sich zunehmend als Österreicher und sähen Österreich als ihr Heimatland. Ein Hinweis dafür sei der Verein „Muslimische Jugend Österreich“: „Es ist sicher neu und bemerkenswert, dass sich junge Muslime zu ihrer Religion bekennen und sich gleichzeitig auch als Österreicher bezeichnen. Vor zwanzig Jahren war das nicht so“, sagt Shakir. „Hier gibt es keine Pariser oder Berliner Verhältnisse. Auch ein Hassprediger hat in Österreich nicht wirklich Chancen, weil der Islam richtig anerkannt ist.“ Dazu komme, dass der islamische Religionsunterricht an öffentlichen Schulen von jungen Muslimen geschätzt werde. Mehr als jeder zweite nimmt das Angebot an.

„Die Presse am Sonntag“ hat muslimische Jugendliche gefragt, wie ihnen der Spagat zwischen „muslimisch“ und „österreichisch“ gelingt.

Zwischen Uni und Burkinis: Wie man Muslim und Österreicher ist

„Im Cafe treffen?“ Das ginge zwar schon, meint Fahad Al-Rawi am Telefon. „Nur konsumieren können wir halt leider nichts.“ Ob nicht doch der Park besser wäre?

Es ist Ramadan; Fahad, sein Cousin Yassin Al-Rawi und Fatima Rahman fasten. Um vier Uhr Früh haben sie zuletzt gegessen, das nächste Mal erst wieder nach Einbruch der Dunkelheit. Dann wird gemeinsam gekocht; Familie und Freunde kommen zusammen, Fahad lädt dazu auch Nichtmuslime ein: „Sie freuen sich über das gute Essen und wir reden über alles, Fasten und Fußball.“ Denn der Ramadan, erklärt die 20-jährige Fatima, sei ein Monat, „in dem Menschlichkeit und soziales Miteinander im Zentrum stehen.“

Fatima ist praktizierende Muslima. „Nicht aus Tradition, sondern aus Überzeugung, dass es wichtig ist.“ Das Gebet hält sie ein – fünfmal am Tag. „Es ist für mich immer eine Erinnerung an das, wofür ich Gott dankbar bin.“ Morgens um vier, wenn sie sich Gott zuwendet, während andere schlafen. Untertags, wenn sie sich mitten im Stress Zeit nimmt, um sich „zwei Minuten etwas Höherem zu widmen“. Abends, wenn sie, manchmal müde und genervt, noch einmal innehält.

Auch Fahad glaubt nicht aus Tradition. „Kann es einen Gott geben, oder ist alles nur Zufall? Damit habe ich mich schon beschäftigt.“

Fatima, Fahad und Yassin sind irakischer Abstammung, aber auch österreichische Großmütter finden sich. Ihre Freunde: bunt gemischt. Sie wählen nicht nach Herkunft und Glauben, sondern nach Hobbys und Sympathie; Fahads bester Freund ist ein „echter Wiener“. Echte Österreicher „sind wir auch“.

Als solche wollen sie sich engagieren. Yassin, 15, will politisch „mitmischen, mithelfen.“ Fahad will in die Wirtschaft, aber auch ihn reizt die Politik, „um Bildungsthemen anzusprechen“. Fatima war gerade in Jordanien, um ihr Arabisch zu verbessern. „Weil es eine Bereicherung ist, auch für meine berufliche Zukunft.“ Ab Herbst studiert sie Politik. Berufsziel: Journalistin.

Das Kopftuch trägt Fatima, seit sie zwölf ist. „Keiner zwingt mich, aber mir gefällt es.“ Sie fühlt sich durch den dünnen Seidenstoff beschützt: Vor der Sonne – und vor Blicken: „Ich möchte, dass man mich nicht auf mein Äußeres reduziert.“ Wichtig sei, „was man im Kopf hat, nicht auf dem Kopf.“ Wer eine Frau zum Kopftuch zwinge, handle wider die Religion. Sie selbst geht im Burkini schwimmen: „Wenn ich mich für etwas entschieden habe, dann konsequent.“

Gewaltbereite, religiöse junge Muslime, wie sie eine deutsche Studie identifiziert, kennen die drei nicht. „Aber Gewalt hat immer mit den Personen und deren Problemen zu tun“, glaubt Yassin. „Das wäre ja paradox, wenn eine Religion Gewalt verherrlichen würde“, sagt Fatima. In die Moschee geht keiner der drei regelmäßig. Die Diskussion um Minarette ist für sie „viel Wirbel um nichts“. Überhaupt, finden sie, könne man es den „alten“ Österreichern nicht recht machen. Yassin: „Wenn wir in Hinterhöfen beten, bekommen die Leute Angst. Echte Moscheen wollen sie auch nicht. Ich bin verwirrt.“

von Teresa Schaur-Wünsch

Spiritist in Converse: Yunus Hentschel ist Wiener und Sufi

Für seine Freunde ist es ein „exotisches Hobby“, für ihn die „direkte Erfahrung des göttlichen Seins“: Der 23-jährige Yunus ist Sufi. Seine Eltern, ein Österreicher und eine Deutsche, haben die islamische Mystik einst für sich entdeckt.

Mit diesem „Geist“ ist er aufgewachsen, hat aber durch Reisen und verschiedene Freundeskreise viel anderes kennengelernt. In Indien ist er etwa dem Zen-Buddhismus und der Meditation näher gekommen. „Jeder Weg der Religion beinhaltet im Herzen dasselbe“, erklärt der Wiener Arabistik-Student. Und für ihn sei der Sufismus, eine Lehre, älter als der Islam selbst, der passende Weg zu Gott.

Er würde sich nicht als religiös, sondern vielmehr als spirituell bezeichnen. Als Sufi strebt er nach der „Einheit des Seins“. Ziel ist, Teil des göttlichen Prinzips zu werden, das alles durchdringt. Folglich ist auch das Böse zu akzeptieren: „Aber Gott weiß, was jeder tut – auch innerlich.“

Jetzt, im Ramadan, fastet er und betet fünf Mal am Tag. Das Gebet ist ein „Innehalten im Alltagsleben“. Verrichtet wird es zu Hause in Währing. Die Moschee in Floridsdorf ist ihm zu weit weg. Als er das letzte Wintersemester in Kairo verbrachte, besuchte er jedoch regelmäßig Gebetshäuser. Ob ihm eine Glaubensgemeinschaft nicht fehle? „Durch das Leben der Religion teile ich den Glauben mit allen. Meine Gemeinschaft ist die Welt.“

Seinen Glauben lebt Yunus „offen und locker“, denn von Gesetzen als Zwängen hält er nichts: „Es gibt wesentlichere Dinge, als ob jemand ein Kopftuch trägt.“

Vom „konstruierten Bild des Muslims“ erkennt man an ihm wenig, als er in Converse-Schuhen und Poloshirt im Türkenschanzpark im Wiener Cottage wortgewandt seine Hingabe an das göttliche Sein, die Wichtigkeit des Dialogs zur Lösung von Konflikten und die seiner Meinung nach „künstliche“ Separierung zwischen „Westen“ und Islam erläutert. Einzig sein Vorname verrät etwas: Er teilt ihn mit dem türkischen Sufi-Dichter Yunus Emre.

Er sieht sich als Wiener und Muslim – und das ist für ihn alles andere als ein Widerspruch: „Schließlich war Österreich immer ein Vielvölkerstaat.“

von Anna Goldenberg

"Weiß nicht, wer ich bin": Ümran Quinto lebt zwischen zwei Welten.

„Ich weiß selbst nicht, wer ich bin.“ Die 25-jährige Ümran Quinto beantwortet die Frage, ob sie sich als Österreicherin, Türkin oder Muslima fühle, mit einem Lachen, in dem auch ein wenig Verzweiflung mitklingt. In der Türkei, erzählt sie, mache man sich über ihren Akzent lustig. In Wien werde sie, die perfekt Deutsch und Türkisch spricht und als Ordinationshilfe arbeitet, oft wegen ihres Namens abgestempelt. Irgendwie sei sie überall Ausländerin, obwohl sie ihr ganzes Leben in Österreich verbracht hat. Geboren wurde sie allerdings in der Türkei – als „Urlaubskind“.

Der Zugang zum Islam, den sie vom Elternhaus mitbekam, hat ihr die Identitätsfindung auch nicht leichter gemacht: „Man muss sich – optisch – anpassen, man muss sich integrieren.“ Äußerlich zumindest sieht man deshalb der adrett gekleideten und perfekt geschminkten Wienerin den Glauben auch nicht unbedingt an.

„Innerlich“ aber ist es Ümran wichtig, keine Sünderin zu sein. Sie isst kein Schweinefleisch und bedankt sich abends vor dem Einschlafen betend für den Tag. Einmal im Monat erlaubt sie sich ein Glas Wein. „Das entscheidet sicher nicht darüber, ob ich in den Himmel komme.“ Dennoch ist es ihr wichtig, den Islam an ihren vierjährigen Sohn weiterzugeben. Ihr Mann ist für sie konvertiert. Mehr Bezug zur Religion wünscht sie sich trotzdem.

Ihre Religiosität stuft sie als „modern“ ein: „Ein Kopftuch hält dich noch nicht vom Sündigen ab. Vom strengen Glauben allein ist man kein guter Mensch.“ Gleichzeitig bewundert sie aber die Disziplin einer muslimischen Freundin, die im Ramadan fünf Mal am Tag betet und fastet: „Vielleicht hätte ich mehr muslimische Freunde haben sollen.“

Stattdessen beneidete sie stets ihre österreichischen Freundinnen um ihre Freiheit. Heute weiß sie den starken Familienzusammenhalt unter Türken zu schätzen: „Ich war meinen Eltern nicht egal.“ Dennoch suchte sie kurz die Freiheit in Klagenfurt: „Aber der Rassismus dort war viel stärker als in Wien. Ich hatte echt keine Chance. Wenn mein Name etwas über meine Fähigkeiten sagt, ist das sehr traurig.“

von Anna Goldenberg

Keine islamische Identität: Amir El-Shamy ist trotzdem ein Muslim

Abgeschottet. Geheim. Terrorzellen: Wenn Amir El-Shamy diese Wörter im Zusammenhang mit dem Islam hört, muss er den Kopf schütteln. Denn diese Wörter betreffen ihn – oder sollten ihn betreffen. Amir ist ein gläubiger Muslim. Einer, der sich seiner Religion durchaus bewusst ist, der sich aber nicht durch seine Religion definiert. Denn zuallererst ist Amir Österreicher. „Ich bin hier zu Hause, in Ägypten bin ich zu Gast.“ Ägypten, das ist die alte Heimat seines Vaters.

Der 20-jährige Schüler sitzt unter einer Brücke auf der Wiener Donauinsel und blickt auf die UNO-City. Hierher kommt er, so oft er kann, zum Fußballspielen und spazieren gehen. „Ich bin schon seit meiner Geburt Muslim“, sagt er bestimmt. Und das, obwohl er eine österreichische – katholische – Mutter hat. Seine Familie hat sich ein Leben mit den zwei Religionen eingerichtet. Dass sich Amir dennoch dem Islam näher fühlt, hat zwei Gründe. Zum einen habe er im islamischen Religionsunterricht viel gelernt. Zum anderen habe ihm sein Vater, ein religiöser Mensch, den Islam nahegebracht. Die Religiosität beider Generationen lasse sich dennoch nicht vergleichen, meint der Schüler. „Mein Vater hat den Islam sehr verinnerlicht. Für ihn ist es von großer Bedeutung, wenn er einen Tag nicht betet.“ Nicht so für Amir. „Mir ist der Islam nicht wurscht, aber bei mir ist der Glaube nicht so tief wie bei meinem Vater.“ Zudem müsse Amir noch viel lernen. Er kann nicht alle Gebete, alle Suren auswendig. „Vor allem ist meine Muttersprache nicht Arabisch, sondern Deutsch“, sagt der Schüler und kommt wieder auf „sein“ Land zu sprechen.

Trotz seiner Zugehörigkeit zum Islam: Seine Religion beherrsche nicht seinen Tagesablauf, obwohl der Islam in vielen Lebenslagen präsent sei. Mit seinen christlichen Freunden etwa geht der Schüler abends nicht so gerne aus. „Bei denen spielt Alkohol eine Rolle.“ Zigaretten und Alkohol sind für ihn, wie für andere gläubige Muslime auch, tabu. Viel eher interessiert er sich für Politik, sieht sich Nachrichtensendungen an, liest regelmäßig die Zeitung, engagiert sich politisch in der Jungen Generation und will nach seiner Matura Jus studieren. Für ihn sei es wichtig, sich seine eigene Meinung zu bilden.

Und die bildet sich Amir: Minarette seien keine politischen Machtsymbole, wie vielerorts konstatiert wird. Seiner Frau würde er nicht vorgeben wollen, ob sie arbeiten oder zu Hause bleiben soll. Es brauche einen fruchtbaren Dialog zwischen den Religionen in Österreich. Und dass junge Migranten und Muslime krimineller sind als andere, stellt er infrage. „Kein Krimineller sagt: Ich raube dir jetzt deine Handtasche, weil ich Muslim bin.“

Einen Identitätskonflikt trägt Amir dennoch aus. Dieser Konflikt sei allerdings politisch und komme von außen, von der rechten Politik, meint der Schüler. „Die sagen: ,Ich bin Patriot. Ich bin für Österreich und gegen die Ausländer.‘ Aber was ist mit mir? Ich bin auch Patriot. Ich bin auch für Österreich.“ Er hält kurz inne. „Dennoch gelte ich als Ausländer.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2010)

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