Abt: "Sehnsucht nach dem Geheimnisvollen"

Sehnsucht nach Geheimnisvollen
Sehnsucht nach Geheimnisvollen(c) Clemens Fabry
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Abt Gregor Henckel Donnersmarck gilt als einer der profiliertesten Kleriker des Landes. In einem Monat, am 10.Februar, beendet der dann 68-jährige seine zwölfjährige Amtszeit im Zisterzienserstift Heiligenkreuz.

Herr Abt, weshalb verlassen Sie vorzeitig Ihre Gemeinschaft und stellen sich nicht der Wiederwahl?

Abt Gregor Henckel Donnersmarck: Vorerst– ich verlasse nicht meine Gemeinschaft! Nach zwölf Jahren im Amt als Abt hätte ich mich nach den Statuten einer Vetrauensabstimmung zu stellen. Ich nehme dieses Datum zum Anlass, mein Amt niederzulegen. Vor allem, weil ich dann im 69.Lebensjahr bin und mit Vollendung des 70.Lebensjahres die Resignation aus Altersgründen anbieten müsste. Ich muss auch sagen, dass ich die zwölf Jahre als gnadenreich und wunderschön erlebt habe, aber auch als ziemlich anstrengend. Ich bemerke ein Nachlassen meiner Leistungskraft.


Das Klosterleben ist also auch nicht mehr das, was es einmal war.

Wenn innerhalb von zwölf Jahren der Personalstand von 53 auf 85 Mitbrüder wächst, wenn man für eine Hochschule mit 180 Hörern verantwortlich ist, wenn man die Betriebe des Stiftes mit 200Mitarbeitern, wenn man die 20 Pfarren sieht, eine Neugründung im Ruhrgebiet, ein Gründungsprojekt in Sri Lanka – da kommt enorm viel Arbeit zusammen.


Waren diese vielen Aufgaben, die jenen eines Managers, der Sie ja früher waren, nicht unähnlich sind, tatsächlich die Gründe dafür, ins Kloster zu gehen?

Ich war sehr gerne als Manager tätig, bin keineswegs aus Verzweiflung ins Kloster gegangen. Ich gebe zu, ich habe mir nicht vorstellen können, wie stark die Aufgaben im Kloster, auch im Sinne von Stress, belastend sein können.


Fehlt Ihnen das Kontemplative, das Ihnen ja wohl damals den Gang ins Kloster attraktiv hat erscheinen lassen?

Wenn ich frivol bin, sage ich: Wenn ich kontemplativ hätte leben wollen, wäre ich fast besser Speditionsdirektor in Barcelona geblieben – da hatte ich wenigstens ein freies Wochenende.

Haben Sie es jemals bereut, diesen Lebensweg beschritten zu haben?

Nein.


Gab es nie auch nur Momente des Zweifels?

Es hat Momente gegeben, in denen ich bedauert habe, dass ich nicht die spirituellen Qualitäten habe, um das auszufüllen, wie man es sich nach den Heiligenlegenden vorstellt.

Was meinen Sie damit konkret?

Man hat das Bild eines Heiligen Benedikt vor sich.

Das wahrscheinlich vielfach idealisiert ist.

Trotzdem müssen wir bei den großen Gestalten der Kirchengeschichte, und das sind vor allem die Heiligen, davon ausgehen, dass sie außerordentliche charismatische Genies waren. Man wünscht sich natürlich, dass man so etwas wäre, und dann muss man es in Geduld mit sich selbst ertragen, dass man das doch nicht bringt.

Können Sie kurz beschreiben, wie Ihre Berufung, ins Kloster zu gehen, gereift ist?

Ich bin verblüfft, dass mir diese Frage seit 34Jahren gestellt wird und zwar, glaube ich, vor dem Hintergrund: Wie kann ein Mensch, der im wirtschaftlichen Beruf erfolgreich ist, wie kann der ins Kloster gehen?

So ähnlich hat wahrscheinlich auch Ihre Mutter reagiert.

Meine Mutter war gar nicht glücklich über diesen meinen Entschluss. Ich habe damals, nüchtern kalkulierend, Folgendes gesehen: Ich lebe als katholischer Christ unter meinem Niveau. Das Gebetsleben war gerade noch auf die Sonntagsmesse reduziert. Dazu kam die Frage der Treue zum Heiligen Vater. Über Paul VI. haben sich alle von außen und innen aufgeregt, und ich habe gedacht, ich will ein Zeichen der Solidarität mit dem Papst setzen. Als Drittes kam hinzu, dass mit mir Menschen sehr häufig zu den Themen Glaube, Gott, Kirche, Gebet zu sprechen begannen. Ich habe festgestellt, da muss doch in mir etwas angelegt sein, auf diese Themen immer angesprochen zu werden. Diese Elemente haben mir – ohne Damaskus-Erlebnis – den Weg zum geistlichen Beruf gewiesen.

Wieso hat Heiligenkreuz im Gegensatz zu so gut wie allen anderen Klöstern in Österreich so großen Zulauf? Was ist das Geheimnis Ihrer Nachwuchspflege?

Das ist nicht unsere Pflege, wir führen da keine Spezialdüngung durch. Jede Berufung ist eine höchstpersönliche Geschichte, eine Liebesgeschichte einer Seele mit Gott. Das können wir nicht herbeiführen. Was Heiligenkreuz immer, auch lange vor meiner Zeit, gehabt hat, war die Liturgie des Zweiten Vatikanischen Konzils in Latein. Wir zelebrieren zwei Mal in der Woche die heilige Messe in der Landessprache. Aber das Latein hat es uns leicht gemacht, den gregorianischen Choral, mit dem wir dann paradoxerweise auch kommerzielle Erfolge erzielt haben, zu pflegen. Der gregorianische Choral fünf Mal am Tag in der alten Sprache der Kirche ist eine Meditationsform, mit der man Texte der Heiligen Schrift ins Herz bekommt. Ich habe das Gefühl, dass junge Leute nicht trotz, sondern wegen dieser Liturgie kommen.

Weshalb sollte die Liturgie in lateinischer Sprache für Jugendliche attraktiv sein?

Latein ist für das Gebet, für die Andacht ein Vorteil. Man fühlt sich stärker an die Jahrtausende und an die Ewigkeit herangeführt und an das Mysterium, nicht nur als das Geheimnisvolle, sondern als das Heilsbringende. Bert Brecht hat von der Verfremdung gesprochen, wonach man bestimmte Handlungen verfremden muss, um sie sichtbar zu machen. Es ist traurig, dass Latein in weiten Teilen der Kirche vergessen ist. Wir sollten uns die urmenschliche Sehnsucht nach dem Erlebnis des Numinosen, nach der Greifbarkeit des Geheimnisvollen ermöglichen. Und Heiligenkreuz ist daneben auch für viele attraktiv, weil man hier an der Hochschule die kirchliche Lehre vorgetragen bekommt und nicht grundsätzlich Papstkritik und Kirchendistanz.

An welchen Hochschulen bekommt man denn nicht die kirchliche Lehre geboten?

Diese Frage beantworte ich nicht. Aber viele bei uns wollen sich die Liebe zur Kirche nicht durch Zynismus, professoralen Hochmut und herablassende Kritik vermiesen lassen.

In Österreich, überall in Europa sinkt die Zahl der Katholiken dramatisch. Wo sehen Sie ein Versagen der Kirche?

Europa geht, demografisch gesehen, unter. Wir haben uns selbst abgeschafft. Der Europäer hat sich durch Verhütung, Abtreibung, Ehescheidung, Gleichberechtigung anderer sexueller Lebensformen tatsächlich in einen Suizid gestürzt. Das Christentum ist aber nicht ein europäisches Phänomen. Die Kirche wird zwar weltweit in einem unbeschreiblichen Maße verfolgt wie keine andere Religionsgemeinschaft, sie ist aber rund um den Globus in einer ungeheuer expansiven Phase. Die Zahl der Katholiken steigt, der Priesternachwuchs ist stark. Wie sollen wir in Europa junge Leute in der Kirche haben, wenn es gar keine jungen Leute mehr gibt?

Es sinkt ja nicht nur die absolute Zahl, sondern auch der Anteil jener, die Priester werden wollen.

Wie sollen Menschen liebevoll und hoffnungsvoll glauben können, wenn sie um sich herum lauter Hoffnungslosigkeit und Lieblosigkeit erleben?

Sie zeichnen ein sehr dunkles Bild der gegenwärtigen Situation. Zeigt sich Gott da für Sie überhaupt nicht mehr?

Wenn die Menschen auf Gott zugehen, kann er sich ihnen zuwenden. Die meisten Menschen leben heute so – und ich verwende da ein Wort des Heiligen Vaters – als ob es Gott nicht gäbe. Ich sehe nur für Europa schwarz, aber nicht für die Welt. Ich bin ja nicht ein Rassenkämpfer, der glaubt, der europäische Katholizismus müsse sich durchsetzen. Einen Schmarren! Es ist wichtiger, unseren Glauben als unsere Gene weiterzugeben. Wenn Irakis, Philippiner und Südkoreaner als neue Christen nach Europa kommen, dann ist mir das alte Europa ziemlich egal. Der Unglaube ist nicht lebensfähig.

Im vergangenen Jahr haben sich hunderte Opfer gemeldet, die von katholischen Priestern oder Ordensleuten missbraucht wurden. Haben Sie diese hohe Zahl für möglich gehalten?

Ich war entsetzt und erschüttert. Die Kirche hätte viel früher mit dem Staat zusammenarbeiten müssen. Es ist besonders schlimm, wenn Priester unmoralisch handeln. Das Phänomen des Kindesmissbrauchs ist aber kein kirchliches Phänomen. Das ist ein breites Phänomen, das in einer katastrophalen Weise unsere Gesellschaft bestimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2011)

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