Papst und Juden oder: Die Vergesslichkeit der Welt

Papst Benedikt Jesus-Buch
Papst Benedikt Jesus-Buch(c) EPA (Giuseppe Giglia)
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Joseph Ratzingers morgen erscheinendes Buch bricht mit antijüdischer Bibelauslegung, wird atemlos kolportiert. Was genau soll daran neu sein?

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Groß sind die Erwartungen – zunächst jener Kaufleute, die das Buch eines der Big Player der Zeitgeschichte verlegen dürfen. Joseph Ratzinger zu seinen Hausautoren zählen zu dürfen garantiert schöne Gewinne. Manuel Herder lässt im deutschen Sprachraum einmal zum Start 150.000 Exemplare drucken. Lediglich Joanne Rowling, besser bekannt als Schöpferin Harry Potters, stellt Benedikt XVI. mit den Verkaufszahlen (locker) in den Schatten.

Morgen, Donnerstag, wird also der zweite Teil der Betrachtungen des amtierenden Papstes über Jesus von Nazareth veröffentlicht. Wenigen Medien war es gestattet, Teile vorab zu publizieren. Wie zum Beispiel der „Bild“-Zeitung, die am Dienstag zwischen Artikeln wie „Porno-Panne am Touri-Bus“ und „Hää? Ab wann bin ich schwerhörig?“ Ratzinger den „Jesus-Prozess“ erklären lässt.

Groß waren auch die Erwartungen mancher, was Ratzinger über die Verantwortlichkeit für das Todesurteil Jesu schreiben würde. Und sie wurden erfüllt. Der Papst lehne antijüdische Bibelauslegungen ab, verbreiten Agenturen – als ob das rasend neu wäre. „Wie hätte das ganze Volk nach Jesu Tod rufen können?“, fragt Ratzinger. Es entspreche „sicher nicht“ historischen Fakten, dass „die Juden“ vom römischen Statthalter Pontius Pilatus den Tod Jesu verlangt hätten. Gemeint sei die „Tempel-Aristokratie“, erklärt der frühere Professor. Mit dem Ausdruck „die Juden“ würde im Evangelium keinesfalls das Volk Israel als solches bezeichnet – noch weniger habe der Begriff „rassistischen Charakter“.

Israels Premier Benjamin Netanyahu reagiert mit Lob für den „Mut“ des Papstes. Und der Chef des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, sieht es für „hoch an der Zeit“ an, ein derartiges Statement abzugeben, das er als wichtiges Signal gegen Antisemitismus in der Kirche interpretiert. Die Erleichterung kann wohl nur vor dem Hintergrund der Spannungen im Zuge der Aufhebung der Exkommunikation von Holocaust-Leugner Robert Williamson durch Benedikt XVI. und der neuen Karfreitagsfürbitte gelesen werden, die als Missachtung des Judentums kritisiert wurde.

Denn längst existiert ein Dokument, das für die katholische Kirche verpflichtend ist: „Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern auf den Tod Christi gedrungen haben, kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last legen.“ Verhandelt, geschrieben und beschlossen im Zweiten Vatikanischen Konzil („Nostrae aetate“) , dann von Papst Paul VI. promulgiert. Vor 45Jahren – eine kleine Ewigkeit also, und schon vergessen.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2011)

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