"Landsmann und Papst": Benedikt XVI. im Bundestag

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Bundestag Papst Berlin(c) REUTERS (Tobias Schwarz)
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Der Papst mahnt in Deutschland die Politik zum Einsatz für Gerechtigkeit und dem Respekt vor den Grenzen der Natur. Einige Stühle im Bundestag blieben leer. Etwa 100 Parlamentarier hatten einen Boykott angekündigt.

In seiner ersten Rede vor dem Bundestag in Berlin hat sich Papst Benedikt XVI. an die Abgeordneten als "Landsmann", der die Geschicke seiner Heimat verfolge, aber auch als "Bischof von Rom" gewandt. Der Papst wurde von den Parlamentarier mit Applaus begrüßt und verabschiedet.

Dutzende Plätze blieben bei der Sondersitzung des Bundestags leer. Nur 28 der 76 Plätze der Linksfraktion waren besetzt, die meisten anwesenden Abgeordneten der Linksfraktion trugen rote Aids-Schleifen. Bei SPD und Grünen waren die Reihen dagegen relativ dicht besetzt. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele verließ nach den ersten Sätzen von Papst Benedikt XVI. den Plenarsaal. Von Union und FDP waren mit Ausnahme einzelner Fraktionsmitglieder, die entschuldigt fehlten, alle Abgeordneten anwesend. Die Kritiker der Papst-Rede monieren unter anderem, dass sein Auftritt unvereinbar mit der religiösen Neutralität des Staates sei.

Papst lobt Öko-Bewegung

In seiner Rede sagte der Papst, der Maßstab der Politik sei die Gerechtigkeit und "nicht der Erfolg und schon gar nicht materieller Gewinn". Die Deutschen wüssten aus ihrer Vergangenheit, dass es kein leeres Schreckgespenst sei, wenn Macht von Recht getrennt werde und Macht gegen Recht stehe, sagte der Papst und fügte hinzu: "Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers."

Der Papst kritisierte die Dominanz des Positivismus in der europäischen Gesellschaft, der zu Kulturlosigkeit führe und ein eingeschränktes Bild der Natur vermittle. "Auch der Mensch hat eine Natur, die er beachten muss" und die er nicht nach Belieben verändern könne. Im Respekt der natürlichen Grenzen entfalte sich wahre Menschlichkeit. In diesem Zusammenhang lobte er die Öko-Bewegung, die seit den 1970-er Jahren ein Umdenken anstrebe - dies sei aber keine Werbung für eine bestimmte Partei, sagte der Papst und erntete damit Lachen und Applaus des Podiums.

Missbrauchsopfer enttäuscht von Rede

Missbrauchsopfer der katholischen Kirche zeigten sich von der Rede enttäuscht. Der Papst habe über Macht und Recht gesprochen, sei aber auf seine Rolle als Mächtiger nicht eingegangen, kritisierte Matthias Katsch, Sprecher der Organisation "Eckiger Tisch", in dem sich Missbrauchsopfer aus Jesuitenschulen zusammengeschlossen haben. Es habe beim Papst keinen Hauch des Selbstzweifels gegeben: "Er hat nur über andere gesprochen und ihnen Ratschläge erteilt. Das ist typisch katholische Kirche." Da werde der Splitter im Auge des anderen gesehen, aber nicht der Balken vor dem eigenen.

Zeitgleich mit der Papst-Rede im Bundestag versammelten sich in Berlin tausende Menschen, um gegen die Politik der katholischen Kirche zu protestieren.

"Trotz Negativschlagzeilen in Kirche bleiben"

Nach seiner Rede im Bundestag hielt der Papst im Berliner Olympiastadion eine Messe vor 61.000 Gläubigen. Dabei rief er die Katholiken auf, trotz Negativschlagzeilen zu ihrer Kirche zu stehen. "Manche bleiben mit ihrem Blick auf die Kirche an ihrer äußeren Gestalt hängen", beklagte der Papst. Auf den Missbrauchskandal ging er nicht direkt ein.

"So ist die Kirche das schönste Geschenk Gottes", sagte der 84-Jährige. Sie dürfe nicht nur nach den Maßstäben und Gesetzen der vielen Organisationen innerhalb einer demokratischen Gesellschaft beurteilt und behandelt werden. Wer tiefer sehe, könne erkennen, dass die Kirche als "universales Heilssakrament" die Gläubigen mit Jesus Christus verbinde. Kirchenfrust sei daher auch eine Folge falscher Erwartungen, predigte der Papst.

"Gekommen, um über Gott zu sprechen"

Am Vormittag war Benedikt XVI. zu seinem viertägigen Staatsbesuch in Deutschland eingetroffen. In seiner ersten Ansprache vor dem Schloss Bellevue in Berlin hob er den religiösen Charakter der Reise hervor. Er sei "nicht in erster Linie hierhergekommen, wie es andere Staatsmänner tun, um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sondern um den Menschen zu begegnen und mit ihnen über Gott zu sprechen", sagte der Papst bei seiner Begrüßung durch Bundespräsident Christian Wulff.

Unter dem Beifall der mehr als 1000 geladenen Gäste sagte Bundespräsident Wulff: "Willkommen zu Hause, Heiliger Vater." Anschließend erinnerte er den Gast an die Probleme, vor denen die Kirchen stehen. Wichtig sei, dass sie den Menschen nahe blieben und sich trotz Sparzwängen und Priestermangel nicht auf sich selbst zurückzögen. "Kirche ist keine Parallelgesellschaft. Sie lebt mitten in dieser Gesellschaft, mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit", sagte Wulff.

Merkel spricht mit Papst über Finanzkrise

Nach der Begegnung mit Wulff traf Benedikt die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese betonte nach dem Treffen den Anspruch der Politik zur Bewältigung der Finanzkrise. Sie habe mit dem Papst über die Finanzmärkte gesprochen und "über die Tatsache, dass die Politik schon die Kraft haben sollte, für die Menschen zu gestalten und nicht getrieben zu sein", sagte Merkel vor Journalisten nach der Unterredung in der Repräsentanz der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin.

Für den Papst ist es der dritte Deutschlandbesuch seit seiner Wahl 2005, zuvor war er 2005 beim Weltjugendtag in Köln und 2006 in seiner bayerischen Heimat. Dieser Besuch ist aber der erste offizielle Staatsbesuch des Papstes in seiner Heimat.

(Ag./Red.)

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