Eine deutliche Mehrheit der Priester stärkt Helmut Schüller den Rücken. Sieben von zehn hegen zumindest Sympathien. Die Bischöfe beraten über Strategien im Umgang mit dem „Aufruf zum Ungehorsam“.
Die Rufe nach Reformen in der katholischen Kirche werden unüberhörbar. Zumindest in Österreich. Jetzt stimmen auch die einfachen Pfarrer, die die Seelsorge der 5,5 Millionen Katholiken des Landes tragen, in den Chor ein. Sieben von zehn Pfarrern (72 Prozent) sympathisieren mit dem „Aufruf zum Ungehorsam“ Helmut Schüllers – ohne in allen Punkten voll zuzustimmen. 68 Prozent sind der Meinung, in der katholischen Kirche gebe es einen „bedrohlichen Reformstau“. Das sind die markantesten Ergebnisse einer Studie des Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner.
Sie basiert auf einer GfK-Umfrage unter 500 Pfarrern und wurde von der ORF-Abteilung Religion in Auftrag gegeben. Die Veröffentlichung der Ergebnisse platzt in die am Montag begonnene Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz. Bis Donnerstag soll in der Landeshauptstadt Salzburg über die Vorbereitungen auf die Pfarrgemeinderatswahlen 2012 beraten werden – und über eine akkordierte Reaktion des österreichischen Episkopats auf die Pfarrerinitiative. Dabei müssen die Bischöfe eine Gratwanderung vollziehen. Denn die in der Bewegung engagierten Priester erfreuen sich regional, Sprecher Helmut Schüller auch überregional, großer Beliebtheit. Ein „Aufruf zum Ungehorsam“ darf aber aus römischer Sicht nicht ohne Sanktion bleiben. Dazu kommen nun die Ergebnisse der Umfrage, die Schüller massiv den Rücken stärken. Und Kardinal Christoph Schönborn noch mehr in Bedrängnis bringen.
Fast jeder Dritte (31 Prozent) Pfarrer unterstützt laut der Studie Inhalt und Form des Aufrufs uneingeschränkt. Nur 28 Prozent erweisen sich als entschiedene Gegner. „Nur“ deshalb, weil die Reformbewegung Pfarrerinitiative in ihrem Siebenpunkteprogramm aus dem heurigen Juni Positionen vertritt, die in eklatantem Widerspruch zur Linie des Vatikans stehen. Die Mitglieder, aktuell ungefähr 370 Pfarrer und Diakone, verpflichten sich unter anderem dazu, das bestehende Predigtverbot für Laien zu missachten und die Kommunion gegebenenfalls auch Ausgetretenen zu spenden; gleichzeitig fordern sie die Weihe von Frauen zu Priestern.
Mehrheit für Priesterinnen
In der neuen Umfrage stimmen 55 Prozent der Pfarrer der Formulierung zu, die Forderung, Frauen zu kirchlichen Ämtern zuzulassen, stehe im Einklang mit dem Evangelium. Eine ähnlich hohe Zustimmung für Priesterinnen war bereits im Jahr 2010 bei einer anderen Umfrage Zulehners unter Pfarrern erhoben worden. 53 Prozent lehnen die Aussage ab, die Forderung, Frauen zu kirchlichen Ämtern zuzulassen, komme „lediglich dem Zeitgeist“ entgegen.
Dass Pfarrer die Notwendigkeit zu Reformen sehen, lässt sich auch aus anderen Zahlen ableiten: Zwar meinen 39 Prozent, eine „dramatisch tiefe Kluft“ zwischen der aktuellen Lebenssituation der Menschen von heute und dem Evangelium ausmachen zu können. Fast doppelt so hoch, nämlich 67 Prozent, ist der Wert aber, wenn nach einer derartigen Kluft zwischen der modernen Kultur und der katholischen Kirche gefragt wird. Am deutlichsten ist die Ablehnung der römischen Vorgaben beim Sakramentenempfang Geschiedener, die staatlich neu geheiratet haben. 86 Prozent befürworten die Praxis, nach einem Gespräch die Betroffenen wieder zuzulassen.
Wie sehr sich Helmut Schüllers Forderungen im Mainstream der katholischen Pfarrer Österreichs bewegen, macht auch die 60-prozentige Zustimmung zu einer anderen vorgegebenen Aussage deutlich: Die Ankündigung, dass Geistliche nicht mehr nur Wünsche äußern, sondern praktisch handeln, verhelfe der Kirche zu mehr Glaubwürdigkeit. Und wie sieht es mit der Meinung zu Sanktionen für den „Aufruf zum Ungehorsam“ aus, die anfangs von Kardinal Christoph Schönborn zumindest nicht ausgeschlossen wurden? Lediglich zwölf Prozent der Pfarrer sprechen sich dafür aus, Unterstützer aus dem Amt zu entlassen.
Gesendet wird der Beitrag zur Studie am Dienstag um 22.30 Uhr in „kreuz und quer“ (ORF2). Das Buch zur Studie Zulehners, das derzeit beim Schwabenverlag in Druck ist, soll im Jänner erscheinen („Aufruf zum Ungehorsam – Taten, nicht Worte reformieren die Kirche“). Und am Freitag dieser Woche erfolgt die Pressekonferenz zur Studie. Kardinal Schönborn will über die Beschlüsse der Bischofskonferenz informieren. Auch hinsichtlich des „Aufrufs zum Ungehorsam“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2011)