Kirchenaustritte um ein Drittel zurückgegangen

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58.603 Personen sind 2011 aus der katholischen Kirche ausgetreten - um 32 Prozent weniger als 2010. Und doch ist das der zweithöchste Wert der Geschichte, zeigt die veröffentlichte Statistik der Kirche.

Wien/Awe/Apa. Die am Dienstag veröffentlichte Statistik über Austritte aus der katholischen Kirche bietet für jeden etwas: Die einen dürfen sich über den im Vergleich zum „Horrorjahr“ 2010 deutlich zurückgegangenen Schäfchenschwund freuen. Minus 32 Prozent sind nicht nichts.

Andererseits: Kritiker werden weiterhin argumentieren, dass es Österreichs Diözesen nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsskandale noch lange nicht gelungen ist, die Mitglieder zu besänftigen. Der Wert von 58.603 Austritten ist der zweithöchste seit Beginn der Aufzeichnungen. Nur 2010 kehrten mit 85.960 Katholiken noch mehr ihrer Kirche den Rücken. Damit reiht sich 2011 in eine Reihe von negativen Höhepunkten in die Kirchenstatistik ein (siehe Grafik). In den Jahren davor hatten der Skandal im St.Pöltener Priesterseminar, die Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Hans-Hermann Groër oder die Bestellung von Kurt Krenn zum Bischof für Aufregung gesorgt.

Die aktuellen Zahlen lassen jedenfalls reichlich Interpretationsspielraum zu. Das Sekretariat der Bischofskonferenz etwa deutet die jüngsten Zahlen durchaus als positives Signal und Bestätigung des in Gang gesetzten Selbstreinigungsprozesses. Medienreferent Paul Wuthe nannte die „klaren Worte und konkreten Maßnahmen der Bischofskonferenz gegen Gewalt und Missbrauch“ als Grund dafür, warum die Kirche „wieder Vertrauen aufbauen“ konnte. Er gestand zwar ein, dass nach wie vor viele Mitglieder über die Vorgänge in der Vergangenheit enttäuscht seien, verwies aber auch darauf, dass sich die katholische Kirche gesamtheitlich betrachtet als „sehr stabil“ erweise. 5,4 Millionen freiwillige Mitglieder würden die Glaubensgemeinschaft trotz schwieriger Rahmenbedingungen immer noch zur mit Abstand größten Institution in Österreich machen. Analysiert man die Zahlenkolonnen im Detail, offenbaren sich tiefer liegende Probleme als die Abkehr von Mitgliedern. Es fehlt nämlich immer mehr an Nachwuchs beim Führungspersonal. 2010 (aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar) ließen sich gerade einmal 22 Männer zu Priestern weihen (2009: 32; 2008: 39) – ein historischer Tiefstand. Nur 23 Männer und Frauen traten dauerhaft und per Gelübde in einen Orden ein. Noch vor wenigen Jahren bewegte sich diese Zahl zwischen 70 und 80.

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Rückgang der Taufen

„Erleichtert“ wird die Situation nur deshalb, weil die Nachfrage nach den Sakramenten in den vergangenen Jahren nämlich ebenfalls deutlich sank. Zurückzuführen ist das einerseits auf die hohe Zahl an Austritten, andererseits aber auch auf demografische Entwicklungen (Zuwanderung aus nicht christlich geprägten Ländern, Geburtenrückgang unter Österreichern). Wurden 2003 noch 54.492 Neugeborene getauft, waren es 2010 nur noch 48.781. Die Zahl der Erstkommunionen ging im selben Zeitraum um 20 Prozent auf 54.175 zurück, auch die Firmungen brachen um neun Prozent auf 58.162 ein. Lediglich die Zahl der Eheschließungen blieb mit knapp 12.000 jährlich stabil.

Die Summe der Gottesdienstteilnehmer an den beiden Zählsonntagen fiel zuletzt gar auf Werte zwischen 660.000 und 695.000. Noch 2002 verzeichneten Österreichs Kirchen an diesen beiden Tagen knapp 200.000 Besucher mehr. Was also tun?

Helmut Schüller, Obmann der Rom-kritischen Pfarrerinitiative, glaubt, dass sich viele ein Handeln der Kirchenleitung erwarten. Er nennt seinen „Aufruf zum Ungehorsam“ sogar als Mitgrund, dass nicht mehr Menschen die Kirche verlassen haben. Hans Peter Hurka, Vorsitzender der Laieninitiative „Wir sind Kirche“, hat für den Rückgang eine andere Erklärung: „Gutes Krisenmanagement und ein abklingender Schock über die Missbrauchsfälle.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2012)

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