Arabischer Winter für Ägyptens Frauen

Die Revolution frisst ihre Töchter: Frauen zählen zu den großen Verlierern des Umsturzes am Nil.

Die Bilder gingen um die Welt: Eine Horde Soldaten zerrt eine junge Frau über den Tahrir-Platz. Mit Knüppeln dreschen die Uniformierten auf die am Boden Liegende ein. Einer tritt ihr mit dem Stiefel ins Gesicht, ein zweiter in den Magen, am Ende bleibt das Opfer halbnackt und leblos liegen. „Eine Schande“, empörte sich US-Außenministerin Hillary Clinton. Frauen hätten genauso wie die Männer für die Revolution ihr Leben riskiert. Nun aber würden sie in Ägypten öffentlich erniedrigt und „systematisch von der Macht ausgeschlossen“.

Ein Jahr nach dem Sturz von Hosni Mubarak ist nun klar: Im postrevolutionären Ägypten sind die Frauen die großen Verlierer. Wenn am Montag das erste frei gewählte Parlament Ägyptens zusammentritt (38 Prozent der Sitze gingen laut Endergebnis vom Samstag an die Muslimbrüder, 29 an die Salafisten), wird die Bilanz für die Frauen deprimierend ausfallen: Höchstens ein Dutzend weibliche Abgeordnete hat es in die 498-köpfige Volksvertretung geschafft. Die unter Hosni Mubarak eingeführte Zwölf-Prozent-Quote wurde vom herrschenden Militärrat gestrichen, die Parteien nur verpflichtet, auf ihren Listen mindestens eine Frau zu nominieren – als Alibivertreterin. Die extrem konservativen Salafisten weigerten sich sogar, ihre Kandidatin auf Wahlplakaten abzubilden. Zu sehen waren nur die bärtigen Bewerber, das Frauenfoto wurde durch eine Blume ersetzt. Auch bei der straff organisierten Muslimbruderschaft, der mit Abstand stärksten Fraktion, stehen Frauenrechte nicht hoch im Kurs. Ihre Politiker sind konservativ und streng religiös, das Familienbild traditionell und patriarchalisch.


Reine Männerwelt. Doch das ist nur der Anfang. Auch in der 100-köpfigen verfassungsgebenden Versammlung, die sich Ende Februar aus den Reihen des neu gewählten Parlaments rekrutiert, werden praktisch keine Frauen vertreten sein. Aktivistinnen am Nil sammelten bereits eine halbe Million Unterschriften für eine Petition, mit der sie für die neue Verfassung die Gleichstellung der Frauen, eine Ächtung sexueller Übergriffe sowie Frauenquoten in Parlament und Regierung fordern. Die vom Obersten Militärrat ernannte Übergangsregierung zählt gerade einmal drei Frauen unter den 30 Kabinettsmitgliedern, weniger als zu Mubaraks Zeiten. Alle 27 Gouverneure sind Männer. Und der neue Präsident, der Ende Juni gewählt werden soll, wird ebenfalls ganz sicher wieder ein Mann sein.

Und das, obwohl im Jänner 2011 zehntausende Frauen Seite an Seite mit den Männern den Arabischen Frühling in Ägypten erkämpft haben, 18 Tage auf dem Tahrir-Platz ausgeharrt, Verwundete versorgt und überall mitangepackt haben. „Wir haben erwartet, dass diese Revolution uns Frauen genauso mit einschließen wird wie die Männer – in puncto Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit. Doch das ist ganz klar nicht der Fall“, kritisiert Hoda Badran, Vorsitzende der „Allianz für arabische Frauen“ (AAW) und langjährige Diplomatin bei den Vereinten Nationen. Alle wichtigen politischen Entscheidungen in Ägypten gingen nur in eine Richtung – die Frauen von der Macht auszuschließen.

Ähnliche Sorgen plagen auch die Frauen in Libyen, seit Übergangspräsident Mustafa Abdel Jalil direkt nach dem Sieg über Muammar al-Gaddafi auf dem Grünen Platz verkündete, das Gesetz müsse künftig auf der Scharia basieren. Jalil ließ keinen Zweifel daran, was ihm am Herzen liegt – die Dekrete aus der Gaddafi-Ära, welche die Vielehe faktisch verbieten und die Frauenrechte im Falle einer Scheidung regeln: „Sie müssen abgeschafft werden, weil sie dem islamischen Gesetz widersprechen“, erklärte er, eine Forderung, die er seither mehrfach wiederholte. Bei Demonstrationen in mehreren Städten forderten Islamisten am Freitag überhaupt die Einführung der Scharia.

„Wir haben Goliath nicht zur Strecke gebracht, um die Inquisition zu bekommen“, empört sich eine Frauenrechtlerin aus Tripolis, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will. Sie sei schockiert, dass sich die neue Führung nach all dem Blutvergießen als Erstes dafür einsetze, dass Männer weitere Frauen heiraten könnten, sagt die 40-Jährige. Auch müssten Männer künftig bei einer Scheidung nicht mehr aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen. „Frauen verlieren das Recht, bei einer Trennung mit den Kindern weiter in der Familienwohnung bleiben zu dürfen – eine Katastrophe für die libyschen Frauen.“


Flächendeckende Diskriminierung. Ägypten liegt nach dem Gender-Gap-Index des Genfer Weltwirtschaftsforums, der Fortschritte bei der Gleichstellung bewertet, unter 134 untersuchten Nationen auf Rang 125. Bei den meisten anderen arabischen Staaten sieht es nicht besser aus. Spitzenreiter Tunesien liegt auf Platz 107. Mehr als 60 Prozent der ägyptischen Männer gaben bei einer Umfrage zu, Frauen sexuell zu belästigen. Die Diskriminierung in der Arbeitswelt ist flächendeckend, die Analphabetenrate deutlich höher, Genitalverstümmelungen weit verbreitet, ebenso Zwangsheiraten minderjähriger Mädchen auf dem Land.

Nur Wochen nach dem Sturz Mubaraks wurde am 8. März eine Kundgebung auf dem Tahrir-Platz zum Internationalen Frauentag von etwa 200 Männern angegriffen, die Demonstrantinnen wurden beschimpft, begrapscht und verschleppt. Die Armee stand untätig dabei. Erst am Tag darauf schlug sie zu: An der gleichen Stelle verhaftete sie demonstrierende Frauen, sperrte sie im Untergeschoß des Ägyptischen Museums ein und unterzog sie vor den Augen feixender Soldaten einem „Jungfrauentest“. Nur eines der Opfer wagte es später, Anzeige zu erstatten. Die 25-Jährige möchte erreichen, dass die verantwortlichen Offiziere bestraft werden – und erhält täglich Anrufe, die ihr Mord oder Vergewaltigung androhen.

„Die Scharia ist eine Lüge, sie wurde nicht von Gott geschrieben, sondern von Männern“, empört sich die Schriftstellerin Nawal al-Saadawi, 80, die große, einsame Dame des ägyptischen Feminismus. „Wir werden beherrscht von einem patriarchalischen Klassensystem: Die Armee ist Teil davon, die Regierung ist Teil davon – und die Frauen sind ausgeschlossen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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