Null Bock auf Integration: Deutsche Studie sorgt für Wirbel

(c) Erwin Wodicka (Erwin Wodicka)
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Ein Viertel aller nicht eingebürgerten jungen Muslime grenzt sich bewusst von der Mehrheitsgesellschaft ab. Eine große Mehrzahl der jungen Muslime will sich integrieren, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen.

Berlin. So sieht sein Steckbrief aus: Er ist zwischen 14 und 32 Jahre jung und lebt in Deutschland. Er ist streng religiös, hat starke Abneigungen gegenüber dem Westen, Vorurteile gegenüber Juden und kein Interesse, sich zu integrieren. Religiöse Vorschriften sind ihm wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem er lebt. Auch Demokratie ist ihm kein Anliegen: Er findet, der Staat sollte Zeitungen und Fernsehen kontrollieren, um Moral und Ordnung sicherzustellen.

Wie viele der jungen Muslime sind solcherart resistent gegen die Grundwerte ihrer neuen Heimat? Gar nicht so wenige, heißt es in einer groß angelegten Studie im Auftrag des Berliner Innenministeriums. 22 Prozent lassen sich grob so beschreiben. Bei jenen, die keinen deutschen Pass haben, sind es 24 Prozent, bei den eingebürgerten 15 Prozent. Das ist ein verstörendes Detail des Konvoluts, das sich auf 700 Seiten mit den „Lebenswelten junger Muslime“ beschäftigt.

„Schockstudie“ ohne Erkenntnisse?

Von einer „Schockstudie“ schreibt die „Bild“-Zeitung, von „erschreckenden Zahlen“ sprachen sogleich Unionsvertreter. Gestern legte CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich bei der Präsentation offiziell seine Stirn in Falten und warnte: „Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben.“ Serkan Tören kann darüber nur den Kopf schütteln. Für den türkischstämmigen Integrationssprecher des Koalitionspartners FDP finanziert der Minister mit Steuergeldern eine Studie, die „Schlagzeilen produziert, aber keinerlei Erkenntnisse“.

Das wird die Autoren kränken, Forscher von drei Universitäten und einem Weimarer Institut. Von Februar 2009 bis Juni 2011 haben sie hunderte Personen interviewt. Das große Bild, das sie zeichnen, ist auch weit weniger dramatisch gefärbt. Eine große Mehrzahl der jungen Muslime will sich integrieren, ohne ihre kulturellen Wurzeln zu verleugnen. Eine deutsch-muslimische „Bindestrichidentität“ nennen das die Soziologen. Ein solches positives Selbstverständnis fällt Muslimen oft nicht leicht, weil sie sich durch die ablehnende Haltung der deutsch-deutschen Mehrheit diskriminiert fühlen. Sehr viele Befragte beklagten „Pauschalverurteilungen“ und eine einseitige Berichterstattung. Besonders kränkt sie, wenn sie unter pauschalen Terrorverdacht gestellt werden. Tatsächlich lehnt eine überwältigende Mehrheit religiös motivierte Gewalt entschieden ab: Mit „wahnsinnigen“ und „kriminellen“ Terroristen, die Unschuldige töten, wollen sie nichts zu tun haben. Diese Ablehnung erweist sich hier sogar als unabhängig davon, wie religiös oder integrationswillig sich der Befragte zeigt.

Also alles halb so schlimm? Das Faktum der sich abgrenzenden „Subgruppe“ bleibt. Allerdings zeigt die Studie auch, wie unselig Ablehnung und Abgrenzung zusammenspielen. Die Befragungen erfolgten in zwei Wellen, dazwischen lag die Debatte um Thilo Sarrazin und sein islamkritisches Buch. Die Forscher betonen zwar, dass kausale Schlüsse nicht möglich sind, aber „Vermutungen“ drängen sich ihnen beim Vergleich der Ergebnisse auf: Die „nach Sarrazin“ Befragten wollen deutlich stärker die Kultur ihres Herkunftslandes bewahren, haben mehr Vorurteile gegenüber dem „Westen“ und neigen stärker zu religiösem Fundamentalismus. Der Schuss ging möglicherweise nach hinten los: Durch Buch und Debatte fühlen sich die Muslime noch stärker von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen und reagieren durch Rückzug in ihre frühere Lebenswelt. So kann das Scheitern von Integration eine sich selbst erfüllende Prophezeiung sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2012)

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