Zehndrei bis Neunzigneun: Entwirrung des Zahlenchaos

Zwanzigeins
Zwanzigeins(c) Www.BilderBox.com (BilderBox.com)
  • Drucken

Mathematiker kämpfen für die Aussprache der Zahl 21 als "zwanzigeins". Das bringe pädagogische und wirtschaftliche Vorteile. Denn wir sprechen Zahlen noch "indogermanisch" aus.

Mathematik ist eine Wissenschaft der Logik. Doch ihre Werkzeuge, die Zahlen, werden auf Deutsch völlig unlogisch ausgesprochen. Daher setzt sich Lothar Gerritzen, Mathematiker an der Ruhr-Universität Bochum, für eine Entwirrung ein: Statt "Einundzwanzig" solle man auch "Zwanzigeins" sagen dürfen, die Zahlen sollten wie Worte von links nach rechts gelesen werden können.

Besonders drastisch zeigt sich das Aussprache-Chaos bei mehrstelligen Zahlenfolgen. Zum Beispiel wird 54.321 als "Vier-und-fünfzig-tausend-drei-hundert-ein-und-zwanzig" gelesen. Zuerst wird also die zweite Stelle, dann die erste, die dritte, die fünfte und abschließend die vierte Stelle ausgesprochen. Nach dem Vorschlag von Gerritzen wäre die logische Aussprache: "fünfzig-vier-tausend-drei-hundert-zwanzig-eins".

Wir zählen wie die Indogermanen

Aber woher kommt das eigentlich unlogische "Ein-Und-Zwanzig"? Es ist bereits 4000 Jahre alt und geht auf das Indo-Germanische zurück. Einerstellen wurden mit einem Strich, Zehnerstellen mit einem Kreuz geschrieben, sodass die Zahl 13 - IIIX - folgerichtig mit "drei-zehn" ausgesprochen wurde. Mit der Einführung der römischen Ziffern änderte sich die Schreibweise - XIII -, die Aussprache blieb aber bis heute gleich.

Pädagogische und wirtschaftliche Vorteile

Der Ruf nach Veränderung hat durchaus praktische Hintergründe. Zahlreiche Studien belegen, dass Schüler im Volksschulalter zählen und rechnen schneller lernen, wenn sie die Zehnerstelle vor der Einerstelle nennen dürfen. Ist das System einmal verstanden, sei es für die Kinder auch kein Problem, zwischen der herkömmlichen und der "entwirrten" Sprechweise zu varieren, so Sigrid Eiskirch.

Die Rektorin der Waldschule Bochum unterrichtet bereits seit über 20 Jahren nach dem "Zwanzigeins"-Prinzip und hat damit signifikant bessere Mathematik-Leistungen bei ihren Schülern erzielt. Schulversuche zeigen auch Vorteile für deutsch-lernende Kinder und Erwachsene sowie für Simultan-Dolmetscher.

Nie wieder 93,09 statt 39,90

Auch die Wirtschaft könnte aus einer Reform der deutschen Zahlen-Sprechweise Vorteile ziehen. Die Häufigkeit von Zahlendrehern und fehlerhaft übermittelten Zahlen würde sich nach Einschätzung von Professor Gerritzen reduzieren. Das komme der Volkswirtschaft zugute und könne sogar Unfälle verhindern. "In der Kommunikation besteht die Gefahr von Verwechselungen und Fehlern, zum Beispiel, wenn mir jemand Zahlen am Telefon durchgibt. Es ist nicht leicht, den wirtschaftlichen Schaden zu beziffern, der daraus entsteht - aber das könnte man empirisch untersuchen", regt Gerritzen an.

Lobbying Zahlen: Verein "Zwanzigeins"

Mit dem Ziel, "die unverdrehte Zahlensprechweise im Deutschen populär und gesellschaftsfähig zu machen" gründete Lothar Gerritzen im Jahr 2004 den Verein "Zwanzigeins". Durch eine "sanfte" Reform soll die unverdrehte Zahlen-Aussprache als Alternative zur üblichen etabliert und allgemein anerkannt werden. Durch Vorträge und Diskussionen betreiben seine Mitglieder Bewusstseinsbildung und bieten entsprechende Unterrichts-Einheiten für Volksschüler an.

Nur Chinesen sprechen wie sie schreiben

Allerdings werden nicht nur auf Deutsch die Zahlen in der Aussprache "verdreht". In fast allen Sprachen gibt es Ungereimtheiten zwischen der Sprech- und Schreibweise von Zahlen. Einige Beispiele aus Europa:

  • Die Franzosen nennen die Zahl 92  "quatre-vingt-douze", "viermal zwanzig und zwölf".
  • Im Dänischen heißt die 60 einfach tres, wobei man sich wohl „dreimal zwanzig" denken soll, und 50 heißt halvtreds, also irgendwie „halb drei" .
  • Die Bretonen (Frankreich) benennen die Zahl 18 mit „dreimal sechs",
  • die Waliser (Großbritannien) mit „zweimal neun".

Einzig in China werden Zahlen seit Jahrhunderten nach einem logisch konsistenten System geschrieben und gesprochen, was zu weniger Zahlendrehern unter chinesischen Schülern im Vergleich zu englisch-sprachigen führt. Außerdem lernen Kinder in China früher zählen und rechnen.

Aussprache gesetzlich korrigiert

Einige Länder nahmen sich diese Tatsache zum Anlass für eine Reform. In Norwegen gilt seit 1951 per Gesetz, dass "Zehner vor den Einern ausgesprochen" werden. In England vollzog sich bereits im 16. Jahrhundert ein Wandel, dafür nur teilweise: Nur Zahlen über 20 werden von links nach rechts gelesen. Im Deutschen dagegen ist immer noch alles beim indogermanischen Alten.

Eine 100 Jahre alte Diskussion

Die Diskussion um die deutsche Zahlensprechweise ist nicht neu. Bereits 1520 schlug der deutsche Rechenmeister Jakob Köbel vor, Zahlen ab 13 anders als gewöhnlich auszusprechen. Im Jahr 1900 griff der damalige Direktor der Sternwarte Berlin, Wilhelm Förster, die Idee einer entsprechende Reform auf und wies auf Missstände im Zählungs- und Rechnungsverkehr hin, die durch die Aussprache verursacht werden. 1953 veröffentlichte Martin Schellenberger das Buch "Zahlwort und Schriftbild" und forderte darin, die Zahlensprechweise an das Schriftbild der Zahl anzugleichen. Seither gibt es kontinuierlich Initiativen zur Etablierung des Anliegens, die aber bislang erfolglos blieben.

Publikation

Lothar Gerritzen (Hg.): Zwanzigeins. Für die unverdrehte Zahlensprechweise. Fakten, Argumente, Meinungen. Universitätsverlag Brockmeyer, Bochum 2008, 166 S.,
14,90 Euro,
ISBN: 978-3-8196-0701-1

(vek)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.