Hongkong: Freie Stadt in Pekings Fängen

(c) EPA (Alex Hofford)
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15 Jahre nach der Übergabe an China steckt die Metropole trotz Wirtschaftsstärke in einer politischen Krise. Der Zorn richtet sich gegen die Volksrepublik

Peking. Schon wer auf dem internationalen Flughafen der Sieben-Millionen-Metropole ankommt, hat den Eindruck: Hongkong ist eine der schillerndsten Metropolen der Welt. Dieser Eindruck setzt sich auf dem Weg in die Innenstadt fort: Begrünte Autotrassen, eine gigantische Hafenanlagen und vor allem die glitzernden Fassaden der Banken und Handelshäuser, die sich in der Meerenge zwischen den pulsierenden Stadtvierteln Kowloons auf dem Festland und der vorgelagerten Insel Hongkong spiegeln.

15 Jahre nach der Übergabe der ehemaligen britischen Kronkolonie an China am 1. Juli 1997 geht es der Metropole am Perlflussdelta ökonomisch besser als jemals zuvor. Als Finanzzentrum hat die Stadt durch die Asienkrise von 1998, die Sars-Pandemie 2003 und die Finanzkrise von 2008 zwar heftige Einschläge erlebt. Doch die Wirtschaft hat sich mit Wachstumsraten von durchschnittlich fünf Prozent dann doch stets rasch erholt. Und strukturell haben Finanzdienstleistungen, Handel und Tourismus die einst dreckigen Schlote der Fabriken ersetzt, die aufs chinesische Festland abgewandert sind.

„Freieste Wirtschaft der Welt“

Obwohl Hongkong sich von der Laisser-faire-Politik entfernt hat und Mindestlohn, Pensionssystem und Antidiskriminierungsgesetze eingeführt hat, gilt die Stadt für die US-Denkfabrik Heritage Foundation weiterhin als „freieste Wirtschaft der Welt“. Doch politisch sind die Hongkonger frustriert.

Vor allem die immer weiter auseinanderklaffende Einkommensschere habe dazu beigetragen, dass Hongkong die Stadt mit dem größten Wohlstandsgefälle sei, sagt Lee Peng-Fei, ehemaliger Chef der Liberalen Partei. Und tatsächlich: Wer nicht im Besitz eines Unternehmens ist oder im Finanzsektor arbeitet, büßt an Lebensqualität ein. Die ärmsten zehn Prozent verdienen heute 22 Prozent weniger als 1997. Explodierende Immobilienpreise machen aber auch dem Mittelstand schwer zu schaffen. Sie sind seit 2008 um 80 Prozent in die Höhe geschossen. „Die Menschen haben die Nase voll von einer Politik, die fette Katzen noch fetter macht“, sagt Lee.

Vor allem der nun scheidende Regierungschef der Stadt, Donald Tsang, steht für diese Politik. Er ließ sich von der Wirtschaftselite der Stadt Reisen sponsern und erwarb eine Luxuswohnung zu einem Spottpreis, während um ihn herum die Preise nach oben schnellten. Vetternwirtschaft und Korruption – am Ende der britischen Herrschaft als überwunden geglaubt – florieren wieder.

Angst vor Bedeutungslosigkeit

Auch die Angst vor einer wachsenden Bedeutungslosigkeit lähmt viele Hongkonger. Schon jetzt holt die Boomregion auf chinesischer Seite des Perlfussdeltas auf und Städte wie Shenzhen und Guangzhou haben Hongkong an Einwohnerzahl übertroffen. Gefahr droht vor allem aus dem Nordosten: Shanghai hat angekündigt, bis 2020 Chinas wichtigste Finanzmetropole werden zu wollen.

All das will Tsangs Nachfolger Leung Chun-Ying angehen. Aber auch seine Ernennung stand unter keinem guten Stern. Er konnte sich bei den überwiegend von Peking ernannten Wahlmännern nur deswegen durchsetzen, weil sein zunächst von der Wirtschaftselite favorisierter Konkurrent, der Ex-Verwaltungschef der Stadt, Henry Tang, in einem Bauskandal verwickelt und damit nicht mehr tragbar war. Immerhin wird mit Leung erstmals jemand die Stadt regieren, der nicht aus diesem erlauchten Kreis stammt. Ihm wird zwar eine zu große Peking-Nähe nachgesagt. Aber dieses Manko haben de facto alle Politiker der Metropole.

2020 sollen erstmals allgemeine und freie Parlamentswahlen stattfinden, bereits 2017 freie Wahlen für einen neuen Verwaltungschef. Gelingt es Leung bis dahin nicht, den Hongkongern den Frust zu nehmen, dürften auch seine Tage gezählt sein.

1989 und 1997

So groß war die Gedenkveranstaltung noch nie: Mehr als 200.000 Hongkonger gedachten am 4. Juni der Opfer der Niederschlagung der Demokratiebewegung von 1989 auf dem Tian'anmen-Platz. Wenn an diesem Wochenende Staatschef Hu Jintao die Übergabe der ehemaligen britischen Kolonie 1997 an China feiern wird, könnte Hongkong die größte Demonstration seiner Geschichte erleben. Bis zu 250.000 Menschen werden erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2012)

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