Großbritannien: Arzt entfernte Brüste gesunder Frauen

Grossbritannien Arzt entfernte Brueste
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Ein renommierter Mediziner soll in den vergangenen 20 Jahren rund 450 Frauen eine oder beide Brüste amputiert haben – obwohl die Frauen gar nicht an Krebs litten.

Es ist einer der schlimmsten Fälle ärztlichen Fehlverhaltens im Vereinigten Königreich in den vergangenen Jahrzehnten: Ein renommierter Chirurg soll an mehreren Krankenhäusern im Großraum um die mittelenglische Stadt Birmingham in den letzten etwa 20 Jahren rund 450 Frauen unnötig eine oder beide Brüste abgenommen haben – obwohl die Patientinnen gar nicht an Brustkrebs erkrankt waren.

Verbotene Methode benutzt

Bei 700 weiteren Frauen führte Ian Paterson, der als ausgewiesener Brustkrebsspezialist galt, offenbar eine umstrittene und auf den britischen Inseln gar nicht zugelassene, „Dekolleté-rettende“ Mastektomie-Methode durch: Dabei wurde möglichst wenig Gewebe am Brustansatz abgenommen, um das Erscheinungsbild der Brüste nach der Operation nicht zu sehr zu beeinträchtigen. Bei mindestens einer Patientin kehrte indes der Krebs zurück, sie musste erneut operiert werden.

Der Mediziner, der für verschiedene Privatkliniken und auch Krankenhäuser des nationalen Gesundheitsdienstes NHS arbeitete, wurde inzwischen suspendiert, die britische Ärztekammer untersucht die Vorwürfe. 100 seiner Opfer haben ihn auf Schadenersatz geklagt, Medien nennen ihn bereits „Schurken-Chirurg“.

Zudem ermittelt die Polizei: Der Arzt soll nämlich Versicherungsbetrug begangen haben, indem er mit Krankenkassen Behandlungen mit höheren Kosten abrechnete, als angelaufen waren.

„Fühle mich betrogen“

Eines seiner mutmaßlichen Opfer, eine 54-jährige Hundefriseuse, war sogar zweimal unnötig an der Brust operiert worden: „Ich habe seit 2002 unter dieser dunklen Wolke des Krebses gelebt, und nun zu hören, dass die Eingriffe unnötig waren – also zuerst dachte ich: ,Gottseidank, ich habe keinen Krebs‘. Aber jetzt fühle ich mich wütend und betrogen.“

Einer weiteren Patientin hatte Doktor Paterson anno 1995 die rechte Brust abgenommen und das Anti-Tumor-Medikament „Tamoxifen“ verschrieben, was bei der Frau zur vorzeitigen Menopause geführt hat. Erst im vergangenen Februar, nachdem die britische Ärztekammer nach Hinweisen beunruhigter Ärztekollegen Patersons angefangen hatte, dessen Patientenakten systematisch zu überprüfen, erfuhr die heute 57-Jährige, dass die folgenreiche Behandlung an ihr eigentlich völlig überflüssig gewesen war: „Du fühlst dich ja fast schuldig, weil die Leute gesagt haben: ,Die Arme, sie hat Krebs.‘ Das kann ich jetzt nicht mehr sagen. Aber ich hatte eine Brustamputation. Das bringt einen völlig durcheinander“, sagte sie in Interviews.

Rätselraten über Hintergründe

Völlig unklar ist, warum Paterson die unnötigen Eingriffe durchgeführt hat, zumal er als überaus erfahrener und beliebter Chirurg galt. „Er hatte ausgezeichnete Krankenbett-Manieren, er war freundlich, man fühlte sich bei ihm gut aufgehoben“, sagte eine seiner früheren Patientinnen.

Ihre Anwältin, Kashmir Uppal, die auf medizinische Schadenersatzfälle spezialisiert ist, sprach angesichts der hohen Zahl von Opfern von einem der schlimmsten Fälle klinischer Fahrlässigkeit: „Natürlich passieren auch in Krankenhäusern Fehler. Aber das hier ist etwas anderes.“

Patterson selbst verweigerte unter Verweis auf seine ärztliche Schweigepflicht bisher jeden Kommentar.

Auf einen Blick

Dr. Ian Paterson wurde jüngst die Arbeitserlaubnis als Mediziner entzogen, da er in Verdacht steht, rund 450 Frauen an den Brüsten operiert zu haben, obwohl sie gar nicht an Brustkrebs erkrankt waren. Er soll auch verbotene Operationsmethoden benutzt haben. [Internet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2012)

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