Obama und die Angst vor der Waffenlobby

Nach Massakern regt sich Protest gegen Waffengesetze – bis er wieder einschläft.

Der Präsident stockte, seine Stimme brach. Barack Obama rang um Fassung, und als er sie nach einer kleinen Ewigkeit von zehn Sekunden wiedererlangt und die Tränen aus den Augenwinkeln gewischt hatte, zählte er die Schauplätze der Bluttaten auf, die in den vergangenen Monaten die Nation kurzfristig aufgerüttelt hatten: der Sikh-Tempel in Wisconsin, die Shopping-Mall in Oregon, das Kino in Colorado, die Straßenecke in Chicago. „Unsere Herzen sind gebrochen. Zu oft haben wir solche Tragödien erlebt. Wir müssen jetzt zusammenkommen, um sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen – unabhängig von Parteipolitik.“

Das Massaker an der Grundschule in Newtown hat Obama als Vater zweier Teenager-Töchter ins Mark getroffen. In dem Moment des Schmerzes und des Mitgefühls vergaß er indes, jenen Amoklauf zu erwähnen, der die Politiker in Washington wohl am stärksten erschüttert hat: das Massaker im Jänner 2011 bei einer Wahlveranstaltung vor einem Supermarkt in Tucson, das acht Tote forderte, das die demokratische Abgeordnete Gaby Giffords nur mit Müh und Not überlebte, und an dessen Langzeitfolgen sie noch immer trägt.


Am Krankenbett. Damals war der Präsident an ihr Bett in die Intensivstation nach Arizona geeilt, und danach hielt er in der Universitätsaula von Tucson die bewegendste Rede seiner Amtszeit. Nach wenigen Wochen war der Schock über das Attentat allerdings wieder gewichen – und mit ihm die vagen Versprechen, an den laxen Waffengesetzen zu rütteln.

Mark Kelly, der Ex-Astronaut und Gabby Giffords' Ehemann, erinnerte die Nation jetzt an die damalige Betroffenheit: „Dieses Mal muss unsere Reaktion aus mehr bestehen als aus Trauer und Kondolenz.“ Er sprach dem New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg aus der Seele. Unter den US-Politikern gilt der 70-jährige Milliardär als der vehementeste Verfechter einer rigoroseren Waffenkontrolle.

„Nicht einmal kleine Kinder, die das ABC lernen, sind bei uns sicher“, empörte er sich in einem Statement. Er äußerte einen drängenden Appell: „Wir müssen sofort handeln. Wir haben all diese Reden gehört. Was wir nicht erlebt haben, war Führungskraft. Weder vom Weißen Haus noch vom Kongress. Das muss nun aufhören.“


Sternenbanner auf Halbmast. Derweil ordnete Barack Obama als symbolischen Trauerakt an, die Sternenbanner am Weißen Haus und am Kapitol auf Halbmast zu setzen. Vorm Weißen Haus versammelten sich noch am Freitagabend rund 200 Demonstranten, die für striktere Waffengesetze eintraten. Von der NRA, der mächtigen Waffenlobby National Rifle Association, hieß es dagegen nur: „Kein Kommentar.“ Die NRA hält das zweite Amendment – den Verfassungszusatz, der das Waffenrecht als so unantastbar einstuft wie die Rede- und Religionsfreiheit – hoch wie die Bibel. „Nicht die Waffe tötet, sondern das Individuum“, lautet ihr Mantra. Mit über vier Millionen Mitgliedern übt sie großen Einfluss aus, sie sponsert republikanische Kandidaten und protokolliert penibel ihr Abstimmungsverhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2012)

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