Argentinien: Die Revolte, die aus den Bergen kam

Argentinien Revolte Bergen
Argentinien Revolte Bergen(c) REUTERS (MARCOS BRINDICCI)
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In Argentinien hat in den vergangenen Tagen eine Welle von Plünderungen von der lieblichen Andenstadt Bariloche aus das ganze Land erfasst. Regierung und Gewerkschaften beschuldigen einander.

Wenn ein Argentinier das Wort „Bariloche“ hört, übermannen ihn „süße“ Gefühle: Die Stadt mit ihren rund 130.000 Einwohnern in der westlichen Provinz Río Negro, die in einer unsagbar schönen Zauberlandschaft an einem See zwischen den zerklüfteten Osthängen der Anden und dem Nordrand der brettlebenen grünbraunen Steppe Patagoniens liegt, ist nämlich nicht nur ein beliebter Urlaubsort, sondern auch Zentrum der argentinischen Schokoladeindustrie – und dass in die 1902 als „San Carlos de Bariloche“ gegründete Stadt auffallend viele Emigranten aus der Schweiz, Süddeutschland und Norditalien gezogen sind, sieht man ihrer Architektur an.

Nur schwer vorstellbar ist es daher, dass die liebliche Gebirgsregion nun zum Quell einer landesweiten Gewaltwelle wurde: Am Donnerstag begannen Bewohner eines ärmeren Viertels jäh, Supermärkte zu plündern und sich mit Polizisten Straßenschlachten zu liefern, die Angreifer waren zum Teil vermummt und trugen Lebensmittel, Kleider und Elektrogeräte fort. Bis Samstag weiteten sich die Übergriffe des Mobs auf sechs Städte sowie Vororte von Buenos Aires aus. Im nordöstlichen Rosario starben zwei Menschen, landesweit wurden hunderte Menschen verletzt und mehr als 600 verhaftet.

„Menschen schlafen unter Bäumen. “Die genauen Hintergründe sind unklar, die Regierung von Präsidentin Christina Fernández de Kirchner und die Gewerkschaften machen einander für die Plünderungen verantwortlich.

Der Sicherheitsminister der Provinz Santa Fé, Raúl Lamberto, bezeichnete die Plünderer als „sehr jung“, sie würden „vor allem alkoholische Getränke“ stehlen und seien von „Anstiftern“ angetrieben. Argentiniens Ministerpräsident Juan Manuel Abal Medina warf den Gewerkschaften vor, die Plünderungen zu organisieren. Mehrere Gouverneure hätten ihm mitgeteilt, dass hinter den Plünderern Gruppen steckten, die Verbindungen zur Lkw-Fahrer-Gewerkschaft hätten, sagte er. Der Vorsitzende der Gewerkschaft „CGT“, Hugo Moyano, wies dies freilich zurück: Die Unruhen zeigten vielmehr die wirtschaftliche Not weiter Teile der Bevölkerung in dem inflationsgeplagten Land, sagte er. „Es gibt Menschen, die schlafen unter Autobahnen oder Bäumen.“

Erst am Mittwoch hatten Gewerkschaften den zweiten Großprotest binnen eines Monats gegen Präsidentin Kirchner abgehalten. An ihm beteiligten sich zehntausende Menschen. Im November hatte es bereits einen Generalstreik gegeben. Die Gewerkschaften forderten eine niedrigere Einkommensteuer für Beschäftigte, da die Inflation in dem Land nach Expertenschätzungen zum Jahresende rund 25 Prozent erreichen dürfte – die offiziellen und ganz klar „geschönten“ Daten geben hingegen rund neun Prozent Inflation an.

Kirchner (*1953 nahe Buenos Aires) war im Oktober 2007 als Nachfolgerin ihres Mannes Néstor Kirchner zur Präsidentin gewählt worden; dieser verstarb 2010. Im Vorjahr wurde Kirchner, der ein herrisches und pompöses Wesen nachgesagt wird und die jüngst Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer bei seinem Staatsbesuch in Buenos Aires mehr als eine Stunde lang im Warteraum des Präsidentenpalasts sitzen ließ, mit 54 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. Nach zwei Amtszeiten dürfte sie nach argentinischem Recht bei der Wahl 2015 nicht noch einmal antreten, doch ihre Partei strebt eine entsprechende Verfassungsänderung an. Dagegen gibt es breiten Widerstand in der Bevölkerung.

Preisexplosion. Im Dezember vor elf Jahren war das Land in den Staatsbankrott geschlittert, zeitgleich hatten Unruhen begonnen, die zum Rücktritt des damaligen Präsidenten Fernando De la Rua führten. In den Folgejahren wurden die Schulden großteils neu verhandelt und die Wirtschaft stabilisiert, doch ließen die Kirchners die Inflation explodieren und hemmen den Handel durch Importrestriktionen, daher ist Argentinien heute wieder eines der teuersten Länder Lateinamerikas, und die Armutsrate ist stark angestiegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

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