"Wenn man Frauen sensibilisiert, kann man viel erreichen"

Wenn Frauen sensibilisiert kann
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Mütter in Nigeria, in Indien und Pakistan oder auch in Palästina können viel dazu beitragen, erstarrte Fronten aufzuweichen.

Wien. An ihre erste Begegnung mit Esther Ibanga kann sich Edit Schlaffer noch gut erinnern: Es war 2010, bei einer Frauenkonferenz in Uganda, diskutiert wurde gerade über den Völkermord in Ruanda. Schlaffer, Vorsitzende der Wiener Organisation „Frauen ohne Grenzen“, saß im Konferenzsaal gleich neben der Nigerianerin.

„Niemals darf das wieder geschehen“, forderten vorn, am Rednerpult, einige Referenten. „Da drehte sich Esther zu mir um und stellte fest: ,Was reden die da? Es passiert doch eben gerade wieder: in Nigeria‘“, berichtet Schlaffer der „Presse“.

In Esther Ibangas Heimatstadt, dem zentralnigerianischen Jos, herrschte damals das nackte Grauen. Blutige Straßenschlachten zwischen Christen und Moslems gehörten zum Alltag, Nachbarn massakrierten einander. Hunderte Menschen wurden ermordet, darunter zahlreiche Frauen, Kinder und alte Leute. Die meisten Opfer waren Christen.

Ibanga, eine Christin, hatte in Jos 100.000 Frauen mobilisiert, war mit ihnen kreuz und quer durch die ganze Stadt marschiert. Die Frauen tanzten, sangen, forderten ein Ende der Gewalt. Sie riskierten damit ihr Leben.

„Ich fragte Esther, wie es ihr denn gelungen war, die moslemischen und christlichen Frauen gemeinsam auf die Straße zu bringen“, sagt Schlaffer. Doch da habe sie die Nigerianerin ziemlich verwundert angeschaut: „Wir Christinnen haben allein demonstriert. Die Moslems, die schlachten uns doch ab!“

Am Anfang war Misstrauen

Es war nicht einfach, Ibanga davon zu überzeugen, dass nicht alle Moslems Mörder sind. Umgestimmt hat sie dann eine andere Frau aus Jos: die Islamwissenschaftlerin Khadija Hawaja. Auch sie hatte Friedensmärsche organisiert – mit moslemischen Frauen. Schlaffer: „Lange hat Esther gezögert, aber dann hat sie Khadija kontaktiert. Diese war am Anfang misstrauisch. Doch dann haben sie einander immer wieder getroffen, miteinander geredet. Und kamen zum Schluss: „Das Töten muss aufhören. Wir als Mütter können unsere Söhne davon überzeugen.“

Mütter mit den gleichen Ängsten

Es dauerte aber Monate, bis die zwei Frauen ihre Gemeinschaften für diese Idee gewinnen konnten. Ibanga erinnert sich in einer Aufzeichnung von „Frauen ohne Grenzen“: „Es war schwierig trotz des Widerstands meiner Leute mit den Mosleminnen zu reden – und meinen eigenen Hass zu überwinden. Allmählich merkte ich aber, wie ähnlich wir sind. Wir sind Mütter, mit den gleichen Ängsten und Hoffnungen.“

Dank ihrer Beharrlichkeit schafften es die beiden Frauen schließlich, die Mauer des Hasses zu durchbrechen. „Was entstand, war fantastisch“, schwärmt Schlaffer heute. Moslemische und christliche Frauen demonstrierten gemeinsam. Mitglieder der einen Religionsgruppe warnten ihre einstigen „Feinde“ vor bevorstehenden Angriffen.

Das Prinzip von Schlaffers Friedensinitiativen: „Man muss ganz nahe heran. Man muss in die Familien hineingehen, man muss die Frauen einbinden“, sagt die Soziologin. „Denn Frauen kennen die Alltagssituation. Zudem haben sie immer die Zukunft, gerade auch die ihrer Kinder, im Blick. Sie können ihre Söhne beeinflussen. Wenn man Frauen sensibilisiert, erreicht man viel.“

Die untröstliche Mutter

Immer wieder erlebt Schlaffer, dass Frauen aus politisch verfeindeten Gruppen über das Gespräch – und die geteilten Erfahrungen – zueinander finden. So war es bei der pakistanischen Mutter, deren Sohn von den Taliban ermordet, und der indischen Polizistenwitwe, deren Mann von Terroristen erschossen wurde.

Wie groß das Potenzial dieser Friedensstifterinnen ist, hat Schlaffer bei einer Begegnung mit Müttern von palästinensischen Selbstmordattentätern erlebt: „Wir alle haben ja das Bild dieser jubelnden Mütter vor Augen.“ In Hebron habe sie aber einmal eine Frau getroffen, die von der Tat ihres Sohnes überrascht wurde. „Sie war völlig verzweifelt.“

Der Mann dieser Frau habe sie zurechtgewiesen, sie müsse sich doch freuen, ihr Sohn sei jetzt ein Märtyrer. Doch die Frau sei untröstlich gewesen: „Ich habe meinen Sohn verloren, wieso sollte ich feiern? Ich sollte Gott um Vergebung bitten.“

Zur Person

Die Soziologin Edit Schlaffer ist Mitbegründerin und Vorsitzende der in Wien ansässigen Organisation „Frauen ohne Grenzen“. Ein Ziel ist, Frauen weltweit in die friedliche Konfliktlösung einzubinden.

Im November 2008 hat „Frauen ohne Grenzen“ dann die Kampagne „Save“ gestartet, die Opfer und Überlebende von Terroranschlägen zusammenbringt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2012)

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