NSU-Prozess: Justiz nährt bei Türken Misstrauen

NSU Prozess Tuerken
NSU Prozess Tuerken(c) EPA (DANIEL NAUPOLD)
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Beim Verfahren gegen die Neonazi-Terrorzelle, der vor allem türkische Migranten zum Opfer fielen, sind keine türkischen Medien zugelassen – sie meldeten sich zu spät an. Das Vorgehen der Behörden irritiert auch die Politik.

Berlin. Von einem „Jahrhundertprozess“ ist die Rede, und auch wenn er erst in drei Wochen beginnt, liegen die Nerven doch heute schon blank. Das Gerichtsverfahren gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), dessen Terror zehn Menschen zum Opfer fielen, soll einen Schlussstrich ziehen unter die peinlichen Ermittlungspannen, die Deutschland eine denkbar schlechte Presse in aller Welt bescherten.

Die Polizei hatte die Angehörigen der acht türkischstämmigen Opfer jahrelang als Täter verdächtigt, der Verfassungsschutz die Spuren zu den Neonazis ignoriert und eine Aufklärung seiner Fehler mit dem Schreddern von Akten verhindert. All das erschütterte bei vielen türkischen Migranten das Vertrauen in den Rechtsstaat. Nun hofft die Öffentlichkeit, dass zumindest die Justiz den Fall sensibel und transparent bis zum Richtspruch führt. Doch das Oberlandesgericht München erfüllt diesen Wunsch schon im Vorfeld nicht.

„Türkische Presse nicht erwünscht“, titelte die Tageszeitung „Hürriyet“ am Dienstag. Tatsächlich kann kein einziges Medium aus der Türkei beim NSU-Prozess direkt dabei sein, obwohl das Interesse dort enorm ist. Aber auch für BBC und „New York Times“ fand sich kein Platz, sehr wohl aber fürs Münchner Stadtradio Arabella.

Das Gericht akkreditierte nach dem „Windhundprinzip“: Wer sich am schnellsten meldete, ergatterte einen der nur 50 Presseplätze im kleinen Schwurgerichtssaal. Das löst bei Politikern und Medien Kopfschütteln bis Empörung aus. Das Gericht rechtfertigt sich: Jede nicht objektivierbare Bevorzugung könne als Verfahrensfehler das Urteil kippen. Dabei erlaubten die Verfassungsrichter schon einmal für einen Ulmer Prozess drei „Töpfe“ für Medien von nah und fern.

Gericht fürchtet „Schauprozess“

Warum aber findet die Verhandlung überhaupt in einem so kleinen Saal statt? Die Bundesanwaltschaft wählte München als Ort, weil in Bayern der Schwerpunkt der Untaten lag. Tatsächlich gibt es in der Stadt keinen größeren Gerichtssaal. Ein Ausweichen auf Messehalle oder Konzerthaus lehnen die Richter aus Sicherheitsgründen ab. Bliebe die Möglichkeit, den Prozess für die Medien über Video in einen anderen Saal zu übertragen, wie es die Norweger im Fall Breivik machten. Doch das sei „ausgeschlossen“, heißt es, weil ein Gesetz Aufnahmen für eine „öffentliche Vorführung“ verbietet. Aber auch viele Juristen bezweifeln, dass eine Übertragung für akkreditierte Journalisten in einen von der Justiz kontrollierten Raum eine „öffentliche Vorführung“ sei. Verkennen die Richter, die einen „Schauprozess“ vermeiden wollen, die Dimensionen?

Münchens SPD-Bürgermeister, Christian Ude, zeigt sich jedenfalls „fassungslos über den Dilettantismus“, der „schweren Schaden stiftet“. Für Grünen-Chefin Claudia Roth fehlt der bayerischen Justiz „jedes Fingerspitzengefühl“.

Schon 2009 mussten sich beim Prozess gegen den NS-Schergen John Demjanjuk Reporter um die wenigen Plätze raufen. Für wartende Kollegen und KZ-Überlebende wurde eine „Sammelstelle Demjanjuk“ eingerichtet – der Nazi-Jargon sorgte damals für Entsetzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2013)

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