NSU-Prozess: Türkei zweifelt an Überparteilichkeit

Stein des Anstoßes: Türkische Medienvertreter bekamen keinen fixen Sitzplatz beim Prozess in München zugeteilt.
Stein des Anstoßes: Türkische Medienvertreter bekamen keinen fixen Sitzplatz beim Prozess in München zugeteilt.(c) REUTERS
  • Drucken

Trotz Streit um garantierte Sitzplätze beim Prozess, reisen Parlamentarier aus Ankara an. Juristen halten eine Videoübertragung für möglich, das Gericht widerspricht.

Die türkische Regierung hat das Münchener Oberlandesgericht wegen der Nichtzuteilung fester Sitzplätze für türkische Diplomaten und Medienvertreter beim bevorstehenden NSU-Prozess scharf kritisiert. Da acht der zehn Opfer der Neonazi-Gruppe türkische Wurzeln hatten, sei die Türkei direkt betroffen und Partei, sagte der für die Auslandstürken zuständige Vize-Ministerpräsident Bekir Bozdag nach Medienberichten vom Freitag dem Nachrichtensender A Haber. Wenn die Türkei in einem solchen Verfahren nicht vertreten sein könne, "wo denn sonst?", fragte Bozdag.

Das Münchener Oberlandesgericht hatte am Montag die Liste der zugelassenen Medien veröffentlicht. Große ausländische Medien etwa aus der Türkei erhalten demnach keinen der 50 garantierten Presse-Sitzplätze im Prozess gegen das mutmaßliche Mitglied der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Helfer ab dem 17. April. Auch der türkische Botschafter in Berlin, Hüseyin Avni Karslioglu, erhielt keinen reservierten Platz im Saal.

Zweifel an Überparteilichkeit

Bozdag äußerte deshalb Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts. Er frage sich, was die Richter im Falle einer objektiven Herangehensweise bei Anwesenheit türkischer Vertreter im Saal zu befürchten hätten, sagte er. "Das bedeutet doch, dass sie sich fürchten, weil es eine subjektive Haltung gibt." Die regierungsnahe Zeitung "Today's Zaman" kommentierte in einem Leitartikel, das Vorgehen des Gerichts zeuge von einer "schützenden Haltung gegenüber Rassisten und rechtsextremen Gruppen" in Deutschland.

Trotz fehlender Platzreservierungen für Vertreter der Türkei wollen Botschafter Karlsioglu und auch führende Parlamentarier aus Ankara zur Prozesseröffnung nach München reisen. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Ayhan Sefer Üstün, sagte nach Medienberichten, er hoffe auf die Unterstützung durch die deutschen Behörden.

Anwalt schlägt Videoübertragung vor

Der Streit könnte nach Auffassung eines Juristen durch eine Übertragung der Verhandlung in einen anderen Saal gelöst werden. "Das Verfahren darf natürlich nicht in Public Viewing ausufern", sagte der Münchner Anwalt Werner Leitner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im Deutschen Anwaltverein, dem "Spiegel". "Ich denke aber, das geltende Recht lässt eine solche Übertragung sehr wohl zu, wenn im zweiten Saal die gleichen Bedingungen erfüllt sind wie im Sitzungssaal."

Eine Live-Übertragung der Verhandlung in einen Nebenraum für Journalisten lehnt das Oberlandesgericht München aus rechtlichen Gründen ab. Der Presserechtler Gernot Lehr sagte dem "Spiegel", man hätte auch für deutsche, türkische und sonstige ausländische Medien getrennte Körbe bilden und aus jedem Korb eine bestimmte Zahl von Medien auswählen können.

(APA/AFP/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Ankara forderte Zulassung türkischer Medien zum NSU-Prozess
Weltjournal

NSU-Prozess: Akkreditierungen in drei Stunden weg

Die Vergabe der Medien-Plätze bei dem Terror-Prozess in München sorgt weiter für Aufregung. Nun mahnt auch die türkische Regierung, das Vorgehen zu überdenken.
NSU Prozess Tuerken
Weltjournal

NSU-Prozess: Justiz nährt bei Türken Misstrauen

Beim Verfahren gegen die Neonazi-Terrorzelle, der vor allem türkische Migranten zum Opfer fielen, sind keine türkischen Medien zugelassen – sie meldeten sich zu spät an. Das Vorgehen der Behörden irritiert auch die Politik.
Mord meinem Vater
Literatur

Der Mord an meinem Vater

Semiya Şimşeks Vater war - vermutlich - das erste Opfer der deutschen rechtsextremen Terrororganisation NSU. In einem sehr persönlichen Buch beschreibt Şimşek, wie ihre Familie ins Visier der Ermittler geriet - und wie ihr Vater von der Polizei kriminalisiert wurde.
NSU-Prozess: Viele große Medien nicht im Saal
Weltjournal

NSU-Prozess: Viele große Medien nicht im Saal

Die Presseplätze im Gerichtssaal wurden neu verlost. Über 300 verschiedene Medien und freie Journalisten hatten sich für die 50 Plätze beworben.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.