NSU-Prozess: Zschäpes Anwälte sehen Richter befangen

Beate Zschäpe beim Prozessauftakt in München: Ihr wird Mittäterschaft an zehn Morden durch eine terroristische Vereinigung vorgeworfen.
Beate Zschäpe beim Prozessauftakt in München: Ihr wird Mittäterschaft an zehn Morden durch eine terroristische Vereinigung vorgeworfen.(c) REUTERS (Michael Dalder / Reuters)
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Die NSU steht in München wegen zehn Morden vor Gericht. Der Prozess wurde wegen eines Befangenheitsantrags bis 14. Mai unterbrochen.

Unter großem Andrang der Öffentlichkeit und höchsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag in München der Prozess um die Mordserie der Neonazi-Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) begonnen. Schon wenig später musste er unterbrochen werden. Wegen einer Entscheidung über Befangenheitsanträge wird der Prozess am 14. Mai fortgesetzt.

Richter Manfred Götzl eröffnete im Oberlandesgericht das Verfahren gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe (38) und vier weitere Beschuldigte. Zschäpe droht lebenslange Haft, ihre mutmaßlichen Hauptkomplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach ihrer Enttarnung erschossen. Die NSU soll zehn Morde und zwei Bombenanschläge verübt haben.

Das Verfahren begann mit rund halbstündiger Verspätung. Diese Zeit gaben Götzl und seine sieben Richterkollegen den Pressefotografen und Kameraleuten, um Bilder von den Angeklagten zu machen, die pünktlich zu dem für 10 Uhr angesetzten Prozesstermin in den Saal geführt wurden. Zschäpe betrat den Saal mit verschränkten Armen und ernstem Gesicht. Mit dem Rücken zu den Fotografen wartete sie stehend mit ihren drei Anwälten auf den Verhandlungsstart.

Unterbrechung wegen Befangenheitsantrag

Mit einem Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Götzl sorgten Zschäpes Verteidiger knapp eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn für ein erstes Störfeuer. Als Begründung führten sie an, Götzl habe eine eingehende Durchsuchung der Verteidiger vor dem Betreten des Gebäudes angeordnet, den übrigen Prozessbeteiligten diese Prozedur aber erspart. Der Richter unterbrach daraufhin die Sitzung für Beratungen, ließ sie jedoch nach wenigen Minuten fortsetzen. Der Antrag wurde nach Angaben einer Gerichtssprecherin vorerst zurückgestellt. Die Anklage wollte am Nachmittag zum Antrag Stellung nehmen.

Zschäpe verfolgte die Verhandlung gestützt auf einen Ellbogen, ließ sich das Geschehen von ihren drei Anwälten erklären und blickte zeitweise zu den überlebenden Opfern und den Hinterbliebenen der Ermordeten. 77 von ihnen nehmen als Nebenkläger an dem Prozess teil, mitsamt ihren 53 Anwälten. Das sind infolge einer Gesetzesänderung so viele wie noch nie in einem deutschen Strafprozess.

Anträge und Anwesenheitskontrolle

Ob die Bundesanwaltschaft bereits am Montag mit der Verlesung der Anklage beginnen kann, war offen. Zunächst stellte das Gericht die Anwesenheit der weit mehr als 100 Prozessbeteiligten fest. Danach wurde über Anträge aus den Reihen der Rechtsanwälte der Angeklagten und der Nebenkläger verhandelt. Nach knapp zwei Stunden wurde der Prozess für eine Mittagspause unterbrochen.

Der Prozess vor dem Staatsschutzsenat dürfte einer der größten der deutschen Nachkriegsgeschichte werden und mindestens zwei Jahre dauern. Die Gewaltwelle blieb rund zehn Jahre von den Behörden unaufgeklärt. Für Empörung sorgte auch das Gericht, weil bei der Vergabe der 50 Presseplätze im Gerichtssaal zunächst keine türkischen Medien berücksichtigt wurden und bei einer Nachbesserung dann mehrere überregionale Zeitungen zu kurz kamen.

Journalisten auf normalen Zuschauerplätzen

Der Andrang für die raren Zuschauerplätze im Saal hielt sich in Grenzen. Viele Journalisten, die bei der Verlosung der Presseplätze leer ausgegangen waren, gelangten noch in den Schwurgerichtssaal, in dem auch gegen den NS-Verbrecher John Demjanjuk verhandelt worden war. Der erste Zuschauer harrte nach eigenen Angaben bereits seit Sonntagnachmittag vor dem Gericht im Zentrum Münchens aus. "Wichtig ist, dass Neonazis keinen Platz bekommen", sagte der 68-jährige Pensionist Helmut S., der seinen vollen Nachnamen nicht nennen wollte.

Vor dem Justizgebäude demonstrierten weniger als 100 Aktivisten vom "Bündnis gegen den Naziterror". Sie prangerten das Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Mordserie an. Auf dem Platz vor dem Strafjustizzentrum waren die mehr als 500 Sicherheitskräfte sowie Hunderte Journalisten deutlich in der Überzahl.

Auch fünf Abgeordnete aus der Türkei kamen nach München. "Wir erwarten Gerechtigkeit", sagte der Vorsitzende der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments, Ayhan Sefer Üstün. "Das ist eine historische Chance für das Gericht." Der Zentralrat der Muslime hofft, dass durch den Prozess einen Ruck durch Deutschland geht. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Online): "Wir hoffen, dass es zu Höchststrafen kommt. Und die Höchststrafe ist lebenslänglich."

Eingeschlagene Fensterscheiben

Im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess ist auf das Büro eines Verteidigers ein Anschlag in Cottbus verübt worden. Der Anwalt vertritt den ehemaligen Funktionär der rechtsextremen NPD Ralf Wohlleben. Unbekannte schlugen in der Nacht zum Montag Fensterscheiben mit Steinen ein. Außerdem besprühten sie die Fassade mit einem elf Meter langen Schriftzug "NSU-Anwalt - Rassismus tötet!". Die Polizei bestätigte entsprechende Informationen der "Lausitzer Rundschau". Angaben zur Schadenshöhe lagen nicht vor. Der Staatsschutz ermittelt.

Wohlleben ist im Prozess um den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Die rechte Terrorzelle soll zwischen 2000 und 2007 acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine deutsche Polizistin ermordet haben.

(APA/AFP/dpa)

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