Sterbehilfe verweigert: Schweiz in Straßburg verurteilt

Sterbehilfe verweigert: Europarat verurteil die Schweiz (Symbolbild)
Sterbehilfe verweigert: Europarat verurteil die Schweiz (Symbolbild) (c) BilderBox.com
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Die Schweiz habe die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt, weil sie einer 82-jährigen Frau ein tödliches Medikament vorenthalten hat.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat am heutigen Dienstag ein Urteil zur umstrittenen Sterbehilfe getroffen. Mit einer knappen Mehrheit von vier zu drei Stimmen urteile die Kammer des Gerichts, dass die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt habe, weil die dortigen Behörden einer 82-jährigen Frau ein tödliches Medikament vorenthalten habe.

Die Beschwerdeführerin wollte sich mit diesem Medikament selbst das Leben nehmen. Die Behörden hatten die Verweigerung damit begründet, dass die Frau an keiner Krankheit leide, sondern ihr Leben wegen zunehmender Schwäche beenden wolle. Aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz - wie in Österreich -  verboten. Allerdings dürfen Organisationen unheilbar Kranken tödliche Medikamente anbieten, wenn diese sie dann selbst einnehmen.

Wie es in einer Aussendung des Europarats vom Dienstag weiter heißt, sieht das Schweizer Recht keine ausreichend klaren Kriterien vor, wann der Erwerb eines solchen Medikaments rechtmäßig ist. Daher habe die Schweiz gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verstoßen, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens regelt. Die Richter wichen mit ihrem Urteil somit einer Entscheidung darüber aus, ob Sterbehilfe grundsätzlich zulässig ist. Bereits in früheren Entscheidungen hatte Straßburg eine solche Grundsatzentscheidung vermieden.

Schweiz muss Graubereich beseitigen

Das neue Urteil bedeutet, dass die Schweizer Behörden in der Frage der Sterbehilfe Farbe bekennen und gesetzlich regeln müssen, ob und unter welchen Bedingungen Personen ohne tödliche Krankheit ein medikamentöser Suizid zu ermöglichen ist. Innenpolitisch wurde dies in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert, doch sprachen sich jüngst sowohl Regierung als auch Parlament gegen klarere Bestimmungen aus. Die derzeitigen Bestimmungen haben einen Graubereich geschaffen, der die Schweiz zur Destination für Sterbewillige gemacht hat.

So plante die frühere Schweizer Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf zunächst ein Gesetz, ließ den Entwurf aber nach dem Begutachtungsverfahren wieder in der Schublade verschwinden. Die jetzige Justizministerin Simonetta Sommaruga sagte im Sommer 2011 zur Begründung, dass neue Bestimmungen nur das geltende Recht konkretisieren würden. Aus Sicht der Schweizer Regierung wäre eine solche Übung nicht nur überflüssig, sondern auch nachteilig, weil sie die umstrittenen Suizidhilfeorganisationen gesetzlich legitimieren würde.

Entscheidung liegt letztlich bei den Ärzten

Schon nach geltendem Recht seien Missbräuche strafbar. So sei Sterbehilfe aus selbstsüchtigen Beweggründen verboten. Suizidwillige Personen müssen urteilsfähig und ausreichend informiert sein. Auch müsse der Sterbewunsch ohne Druck, wohlüberlegt und dauerhaft geäußert werden. Exakte Kriterien für die Abgabe des tödlichen Medikamentes, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sie nun fordert, gibt es heute indes nicht. Die Entscheidung liegt letztlich bei den Ärzten, die ein Rezept für das tödliche Medikament ausstellen müssen.

Die Regierung hatte im Rahmen seiner Regulierungspläne zur Diskussion gestellt, Sterbehilfe nur noch für todkranke Personen zu erlauben. Dies war jedoch im Begutachtungsverfahren äußerst umstritten. Die Regierung habe ihre Pläne daraufhin verworfen. Auch im Parlament wurden diverse Vorstöße zur Regelung der Sterbehilfe abgelehnt. Im Nationalrat hoben bei der Beratung der Vorstöße im letzten Herbst fast alle Rednerinnen und Redner die Bedeutung der Selbstbestimmung hervor. Jeder Mensch müsse für sich selbst darüber entscheiden können, was für ihn ein würdiges Lebensende sei.

(APA/Red.)

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