Japan: Erhöhte Radioaktivität in Fukushima

Japan Erhoehte Radioaktivitaet
Japan Erhoehte Radioaktivitaet (c) REUTERS (POOL)
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Die Strahlenbelastung im Atomkraftwerk ist erneut gestiegen. Ursache könnten Lecks im Kühlwassertank sein. Dennoch werden wohl weitere Kraftwerke in Betrieb gehen.

Tokio. Wieder Alarmstimmung im AKW Fukushima – die radioaktive Belastung stieg innerhalb weniger Tage bedrohlich an. Die Betreiberfirma Tepco räumte ein, dass zulässige Grenzwerte im Grundwasser um ein Vielfaches überschritten wurden. So seien am Montag bis zu 150-mal höhere Caesium-Werte gemessen worden. Tepco gibt sich ratlos: „Wir versuchen, eine weitere Verunreinigung zu verhindern, wissen aber nicht, was den Anstieg verursacht hat“, erklärte eine Konzernsprecherin.

Die Antwort könnte aber auch ganz einfach sein. Das beim Tsunami im März 2011 havarierte und an einem Super-GAU knapp vorbeigeschrammte Kernkraftwerk kommt nicht zur Ruhe, weil sich riesige Mengen verseuchtes Kühlwasser nicht einfach „in Luft auflösen“ können. Erst im Juni waren an etwa derselben Stelle stark erhöhte Werte der Substanzen Strontium und Tritium gemessen worden, die im menschlichen Körper zu Strahlenschäden führen. Immer wieder lecken die unterirdischen Tanks und niemand gibt zu, dass dabei auch radioaktiv belastetes Wasser in den Pazifik ausläuft.

In den Reaktoren eins bis drei ist es bei der Havarie zu Kernschmelzen gekommen. Der Betreiber bekommt die damit verbundenen Probleme aber nicht in den Griff. Angeblich dringen pro Minute 300 Liter Grundwasser zur Kühlung in die Atomruine ein und müssen rund um die Uhr abgepumpt werden. Wenn die Radioaktivität wie jetzt massiv ansteigt, versuchen die Ingenieure das Wasser aus den leckgeschlagenen Behältern in andere Tanks umzuleiten – dabei platzen offenbar Rohre.

Früherer AKW-Direktor verstorben

Das Manöver stößt aber auch deswegen an technische Grenzen, weil Tepco nicht über ausreichend Auffangbehälter verfügt, um mehrere oder gar alle sieben unterirdischen Kühlwasserreservate gleichzeitig zu evakuieren. Inzwischen lagern schätzungsweise 250.000 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser auf dem Ruinengelände.

Hinzu kommen unvorhergesehene Schwierigkeiten. So fiel im März das Kühlsystem eines Abklingbeckens bei Reaktor drei aus, weil Nagetiere einen Kurzschluss gelöst hatten. Für Aufregung sorgte in dieser Woche auch die Mitteilung, dass der frühere Direktor des AKW Fukushima, Masao Yoshida, am Dienstag an Speiseröhrenkrebs verstorben ist. Der 58-Jährige managte das Kernkraftwerk zum Zeitpunkt der Havarie und setzte sich in den ersten Stunden nach der Atomkatastrophe über eine Anordnung der Tepco-Führung hinweg, die das Einpumpen von Meerwasser zur Kühlung der schwer beschädigten Reaktoren stoppen und das Kernkraftwerk damit seinem Schicksal überlassen wollte.

Dieser zivile Ungehorsam verhinderte Schlimmeres und machte Yoshida in den Augen vieler seiner Landsleute zum nationalen Helden. Im Dezember 2011 trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück. Tepco erklärte nun, diese Erkrankung stehe nicht im Zusammenhang mit dem Unglück. Ungeachtet unbestreitbarer Gefahren bleibt Japans Regierung weiter auf Atomkurs. Derzeit prüfen die Behörden die Sicherheit von zehn Kernkraftwerken auf den Standorten Shikoku, Kyushu, Kansai und Hokkaido, die bisher infolge der Katastrophe vom März 2011 stillgelegt sind.

Die neu gebildete Atomkontrollbehörde NRA hat die Sicherheitsstandards der AKW verschärft, der Prüfungsprozess soll mindestens sechs Monate dauern. Mit weiteren Zulassungsgesuchen ist aber zu rechnen, weil die Regierung von Premierminister Shinzo Abe die Betreiber dazu ermutigt.

Sperre pro forma aufgehoben

Zudem ließ der Regierungschef Ende Mai die Sperrzone Futaba nördlich des AKW Fukushima 1, in der 7000 Menschen ansässig sind, wieder aufheben. Experten halten das für einen politischen Taschenspielertrick, denn die Einwohner dürfen nach wie vor nicht in ihren Häusern wohnen, weil die Strahlung vermutlich noch Jahrzehnte gefährlich hoch bleibt. Das Aufheben der Sperre bedeutet also nur, dass die Menschen gelegentliche Stippvisiten unternehmen dürfen, um ihre verbliebenen Sachen zu holen. Abe versucht damit aber offenbar den Eindruck zu erwecken, die Krise nähere sich ihrem Ende und Japan könne zu seiner alten Energiepolitik zurückkehren.

Vor der Naturkatastrophe 2011 hat Japan rund 30 Prozent seines Stroms aus der Atomwirtschaft bezogen. Derzeit sind aber nur zwei von 50 Atommeilern am Netz.

Auf einen Blick

AKW Fukushima. Das beim Tsunami im März 2011 havarierte Kernkraftwerk kommt nicht zur Ruhe: Immer wieder lecken die unterirdischen Tanks, dabei fließt wohl auch radioaktiv belastetes Wasser in den Pazifik. Am Montag wurden bis zu 150-mal höhere Caesium-Werte gemessen.
Der frühere Direktor des AKW, Masao Yoshida, ist am Dienstag an Speiseröhrenkrebs verstorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2013)

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