Leipziger „Wächterhäuser“: Wie Phönix aus der Bruchbude

Symbolbild Altbau
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Damit leer stehende Altbauten nicht verfallen, werden sie fast kostenlos an junge Kreative, Gewerbetreibende und Studenten vermietet. Das Konzept aus Leipzig funktioniert in immer mehr deutschen Städten.

Berlin. Draußen bröckelt die Fassade. Es tost der Verkehr. Plakate vergilben an Schaufenstern längst geschlossener Läden. Im engen Hinterhof türmt sich der Sperrmüll. Drinnen aber, im heruntergekommenen Gründerzeithaus, beginnt das Leben neu: Studenten, junge Künstler und Modedesigner haben sich hier eingenistet. Was alle eint: Sie haben gute Ideen und kaum Geld. Miete zahlen sie keine. Und doch leben sie ganz offiziell hier, mit einem Gestattungsvertrag in der Tasche. Denn als Bewohner eines „Wächterhauses“ bewahren sie einen Altbau vor dem Verfall – zur Freude der Nachbarn, der Leipziger Stadtverwaltung und des Eigentümers. Der Hausbesetzer als Stütze der Gesellschaft.

Vor knapp zehn Jahren wollten einige Leipziger dem Elend nicht mehr länger tatenlos zusehen. Ihre Stadt schrumpfte, viele zogen fort. Wohnungen standen leer, vor allem in den zahlreichen Gründerzeitbauten. Dennoch fanden junge Leute kein günstiges Dach über dem Kopf. Denn die Immobilien in zentraler Lage oder beliebten Wohnvierteln hatten Investoren nach der Wende rasch renoviert und lukrativ vermietet. Übrig blieben Bruchbuden an lauten Straßen und in schäbigen Arbeitervierteln, wo sich der Mief der DDR bis heute hält. Diese will keiner haben.

Die Eigentümer, oft Erben, sind meist ratlos: Es fehlen ihnen mehrere Millionen für eine Generalsanierung, oder sie scheuen das hohe Risiko, danach keine zahlungskräftigen Mieter zu finden. Aber dass ihr Haus verfällt, lässt vielen das Herz bluten. Das brachte eine Gruppe von Stadtplanern und Architekten auf die Idee: Sie gründeten den Verein HausHalten e.V., der Besitzer und mittellose Mieter zusammenbringt. Der Deal: Die Eigentümer machen – oft mit öffentlicher Förderung – das Haus zumindest bewohnbar. Sie dichten das Dach ab, stoppen den Hausschwamm und stellen einen Strom- und Wasseranschluss pro Etage oder Wohnung bereit. Dann übertragen sie die Nutzungsrechte an den Verein.

Nicht nur zur Zwischennutzung

Dieser sucht die Bewohner aus, die den Rest der nötigen Reparaturen besorgen. Werkzeuge werden zur Verfügung gestellt, Kontakte zu Handwerken vermittelt. Einmal eingezogen, „bewachen“ die Kreativen und Studenten das Haus vor Vandalen und Verfall. Zugleich beleben sie das Stadtviertel. Dafür zahlen die neuen Bewohner keine Miete. An Kosten fallen nur Strom, Heizung, Wasser und ein Mitgliedsbeitrag an. Geheizt wird oft mit alten Kohleöfen. Die meisten Flächen werden als Atelier, Vereinslokal oder für ein Gewerbe genutzt, von der Yogaschule bis zur Seifensiederei. Aber auch junge Wohngemeinschaften ziehen ein. Die Warteliste ist lang, obwohl jeder „Wächter“ ein Konzept für die Nutzung vorschlagen muss. Der Engpass sind die Eigentümer, die oft schwer zu überreden sind.

Dennoch geht das Konzept auf: Zwölf Wächterhäuser gibt es in Leipzig. Meist geht es um Zwischennutzung. Die Verträge sind befristet, meist auf fünf Jahre. Findet sich vor Ablauf ein sanierungswilliger Käufer, müssen die Wächter weichen. Doch die Bausubstanz ist oft so marode, dass Investoren zurückschrecken. Bei einer neuen Variante, dem „Ausbauhaus“ haben die Verträge keine Befristung; Eines der Häuser haben die Bewohner gekauft. Die erfolgreiche Idee wird kopiert: in Görlitz, Halle, Chemnitz, Dresden, Magdeburg, Saale. Auch westdeutsche Städte wie Wuppertal zeigen Interesse. Wächter, so scheint es, sind überall begehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2013)

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