Kolumbien: Das Dorf der Unbeugsamen

Panama Dorf Unbeugsamen
Panama Dorf Unbeugsamen(c) EPA (JON HRUSA)
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Im dschungelbewachsenen Bergland Kolumbiens nahe Panama ist ein Ort, der sich aus dem ewigen Bürgerkrieg "ausgeklinkt" hat: Die neutrale "Friedensgemeinde" San José de Apartadó.

Doña Brígida González malt Bilder aus Wasserfarben: hellblauer Himmel, giftgrüne Hügel – daneben schwarze Strichmännchen mit Gewehren, auf dem Boden liegen acht Menschen in einer roten Blutlache.

„Wir müssen uns immer an diese Gräuel erinnern, damit sich die Geschichte nicht wiederholt“, erklärt die kleine, rundliche Frau mit den weißen Zöpfen und lächelt. Sie ist Gründungsmitglied der „Friedensgemeinde“ San José de Apartadó, einer quasi „neutralen Zone“ mitten im Konfliktgebiet von Urabá im Nordwesten Kolumbiens. In den umliegenden Wäldern kämpft die linke Guerilla „Farc“ gegen die Regierungsarmee und rechte Paramilitärs.

Von Gräueltaten weiß Doña Brígida genug zu berichten. In den 1990er-Jahren hatten paramilitärische Gruppen die Kontrolle in der Region übernommen und verbreiteten Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Sie folterten, mordeten und vertrieben Kleinbauern von ihrem Land.

Widerstand gegen die Todesdrohung. „Sie kamen in unser Dorf und sagten: ,Ihr habt fünf Tage Zeit zu verschwinden. Dann bringen wir einen nach dem anderen um‘“, erzählt Berta Tuberquia. Gemeinsam mit etwa 1300 anderen Kleinbauern beschloss sie damals, friedlichen Widerstand zu leisten. Die Bauern und ihre Familien taten sich zusammen, bebauten in Großgruppen gemeinsam Feld für Feld und erklärten sich und ihre Ortschaft zur neutralen Zone. Heute erstreckt sich diese Friedensgemeinde von San José de Apartadó über ein weites, hügeliges Areal im tropischen Urwald nahe der Grenze zu Panama. Die meisten der zugehörigen Einzelsiedlungen sind nur zu Fuß oder per Pferd erreichbar. Handgemalte Tafeln an den Eingängen listen die Regeln für die Mitglieder auf: Einmal pro Woche an Gemeinschaftsarbeiten teilnehmen, keine Informationen an eine der kriegsführenden Gruppen weitergeben, keinen Alkohol trinken. Und Waffen sind hier verboten.

Mut kostet Blut. Die bewaffneten Gruppen ließen sich erst wenig beeindrucken. Knapp 200 Mitglieder der Gemeinde wurden seit ihrer Gründung 1997 ermordet, darunter kleine Kinder. Die Täter wurden so gut wie nie bestraft. Etwa 90 Prozent der Taten wurden von Paramilitärs verübt, der Rest von der Guerilla, erzählt der Bauer Montoya. Jede Seite habe die Bauern verdächtigt, mit der jeweils anderen unter einer Decke zu stecken.

Der alte Mann trägt einen schwarzen Cowboyhut und hackt mit seiner Machete eine rote Kakaopflanze auf. Stolz zeigt er die üppigen Plantagen der Gemeinde: Bananen, Zuckerrohr, Kaffee, Bohnen. Das alles wächst ohne chemische Düngemittel. Was ihm Sorgen bereitet: Neuerdings versprühen Militärflugzeuge hier giftige Herbizide. Sie wollen benachbarte Kokaplantagen vernichten, erwischen dabei aber auch die Felder der Friedensgemeinde.

„Vor 30 Jahren haben wir Bauern alle mit der Guerilla sympathisiert“, erzählt Montoya. Doch die habe ihre Wurzeln längst verloren, sagt er, es gehe nur noch um Macht und Geld, und sie ist im Drogenhandel aktiv. Den wollen auch die Paramilitärs kontrollieren, diese privaten Söldnerheere werden von Drogenkartellen und Großgrundbesitzern finanziert, ihnen wird ein Naheverhältnis zum kolumbianischen Militär nachgesagt. „Wir sehen die Paramilitärs hier oft gemeinsam mit den Regierungssoldaten marschieren“, berichtet Montoya.

Fast 50 Jahre dauert der Bürgerkrieg in Kolumbien bereits. Laut Schätzungen der UN hat er mehr als 600.000 Todesopfer gefordert, vier Millionen Menschen wurden vertrieben. Die Region Urabá ist besonders umkämpft: Hier führt die Drogenschmuggelroute nach Norden in Richtung Golf von Urabá vorbei. Auch gibt es hier Öl, Kohle und Coltan – ein mineralisches Erz, das in der IT-Industrie begehrt ist, etwa für den Bau von Handys. „Die Regierung will uns hier weghaben, weil sie es auf die Bodenschätze abgesehen hat“, ist Doña Brígida überzeugt.

Friedensbeobachter aus Österreich.Um die Kleinbauern zu schützen, schickt der „Internationale Versöhnungsbund“, eine international tätige Friedensorganisation, Beobachter. Sie kommen meist aus den USA und Österreich. Die 34-jährige Waldviertlerin Elisabeth Rohrmoser etwa hat zehn Monate in einem Bergdorf der Friedensgemeinde gelebt. Keine einfache Aufgabe, die Lebensumstände sind hart: Im winzigen Holzhaus schlafen, Trinkwasser abkochen, mit Spinnen duschen, Müll verbrennen.

Rohrmoser schrieb Berichte über Menschenrechtsverletzungen, Gefechte und Drohungen gegen Führer der Gemeinde. Die Niederösterreicherin traf auch regelmäßig ausländische Botschaften und das lokale Militärkommando zur Berichterstattung

Die Milizen machen einen großen Bogen um Dörfer, in denen Ausländer stationiert sind. Kolumbien sei besorgt um seinen internationalen Ruf, meint Rohrmoser: „Es wäre ein riesiger politischer Aufschrei, wenn einem von uns etwas passieren würde.“ Die Menschenrechtsbeobachter können aber nicht überall zugleich sein: Im Februar 2005 waren sie nur fünf Stunden Fußmarsch entfernt, als Paramilitärs ins Dorf Mulatos kamen und acht Menschen massakrierten, darunter den damaligen Sprecher der Gemeinde und seine Kinder.

Erinnern an die Helden. Doña Brígida hält diese Ereignisse mit Wasserfarben fest. „Wir müssen uns immer an die Menschen erinnern, die ihr Leben für unsere Gemeinde gaben“, sagt die alte Frau, „denn sie geben uns die Kraft, weiter Widerstand zu leisten.“

Lexikon

San José de Apartadó ist eine Gemeinde mit rund 1300 Einwohnern im Nordwesten Kolumbiens im schwer zugänglichen Grenzgebiet zu Panama. Die Einwohner erklärten ihr Gebiet im März 1997 zur „neutralen Zone“, in der etwa Waffen und Alkohol nicht geduldet werden und wo man nicht mit linken oder rechten bewaffneten Banden des kolumbianischen Bürgerkriegs paktiert – ja nicht einmal mit der staatlichen Armee.

2007 gab es für den Widerstandsmut zwar den Aachener Friedenspreis, doch kostete die Neutralität auch Leben: Fast 200 Mitglieder der „Friedensgemeinde“ wurden seit 1997 getötet, großteils von rechten Paramilitärs. Bewaffnete Banden drangen wiederholt in die Gemeinde vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2013)

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