Die Männer, die eine Studentin entführt, vergewaltigt und ermordet haben, sollen gehängt werden. Das Verbrechen hat zu monatelangen Protesten im ganzen Land geführt.
Delhi/Wien/Ag./Basta. Vor dem Gerichtsgebäude in Delhi brachen Demonstranten in Freudenschreie aus, als das Todesurteil gegen die vier Vergewaltiger und Mörder einer 23-Jährigen verkündet wurde. „Hängt sie, hängt sie“, skandierten hunderte jubelnde Menschen am Freitag. Einige legten sich symbolisch einen Strick um den Hals.
Todesurteile werden in Indien kaum noch verhängt. Doch in diesem Fall sprach der Richter von einem „bestialischen Verbrechen“. Das Urteil sei eine Botschaft an die Gesellschaft, dass man so eine Tat nicht toleriere: „Dieses grausame Verbrechen fällt in jeder Hinsicht unter die seltensten der seltenen Fälle, die eine Todesstrafe verlangen“, begründete er das Urteil.
Die Verteidiger der vier 19 bis 26 Jahre alten Männer hatten eine Haftstrafe gefordert und mildernde Umstände wie etwa ihr Alter angeführt. Sie kündigten an, das Urteil anzufechten. „Der Richter hat eine Entscheidung unter politischem Druck getroffen“, protestierte einer der Anwälte. Der Prozess könnte laut Beobachtern Jahre dauern. Einer der sechs Täter ist bereits im August zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Er ist erst dreizehn Jahre alt – und somit zu jung für die Todesstrafe. Ein weiterer Täter hat sich im Gefängnis erhängt.
Die Männer hatten die 23-jährige Studentin in einem Bus entführt, dann stundenlang vergewaltigt und unter anderem mit einer Eisenstange so stark verletzt, dass sie zwei Wochen später daran starb.
„Kurzsichtiger Racheakt“
Das Verbrechen hatte ganz Indien aufgeschreckt und in größeren Städten zu wochenlangen Protesten gegen Vergewaltigungen und Demonstrationen für mehr Frauenrechte geführt. Plötzlich war das bisher stark tabuisierte Thema Vergewaltigung in aller Munde: Zeitungen und Talkshows befassten sich damit, lautstark wurden härtere Strafen gefordert.
Die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen stieg im letzten Jahr – laut Beobachtern auch ein positives Zeichen: Mehr Frauen würden sich jetzt trauen, nach einer Vergewaltigung zur Polizei zu gehen.
Als Reaktion auf die Proteste verschärfte die Regierung die Gesetze: Vergewaltigern droht nun die Todesstrafe, wenn das Opfer an den Folgen der Tat stirbt oder dauerhaft im Koma liegt. Hingerichtet werden auch Wiederholungstäter.
Menschenrechtsorganisationen sind allerdings der Meinung, dass die Todesstrafe nicht die Lösung sei: „Das ist nicht viel mehr als ein kurzsichtiger Racheakt. Potenzielle Vergewaltiger wird sie nicht wirklich abschrecken“, sagt Tara Rao, Chefin von Amnesty International in Indien, der BBC.
Effizienter als die Todesstrafe wäre ein funktionierendes Strafsystem: „Die Regierung muss dafür sorgen, dass Strafdelikte von der Polizei untersucht und die Täter verfolgt werden.“ Und das sei in Indien nach wie vor nicht der Fall: Immer wieder gebe es Berichte von Frauen, die beim Versuch, eine Vergewaltigung anzuzeigen, von der Polizei abgewiesen würden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)