Zeit: Russlands ganzjähriger Sommer

(c) EPA (Sergei Chirikov)
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Zum Unbehagen vieler hat Russland die Uhr seit 2011 nicht mehr auf normale Winterzeit zurückgestellt. Selbst die Olympischen Spiele in Sotschi werden daran nichts ändern.

Moskau. Unter den wenigen Spuren, die der liberale Hoffnungsträger Dmitri Medwedjew in seiner vierjährigen Präsidentschaft zurückgelassen hat, zählt der endgültige Abschied von der normalen Winterzeit zu den markantesten. Am 27. März 2011 stellte Russland zum letzten Mal im Gleichschritt mit dem Westen die Uhrzeiger eine Stunde nach vor auf Sommerzeit. Seither hat man die Uhren nicht mehr auf die Winterzeit zurückgestellt.

Das hat zur Folge, dass die Zeitdifferenz zu Mitteleuropa in der kalten Jahreszeit noch größer ist als in der Sommersaison. Als Europa dieses Wochenende die Uhren wieder zurückdrehte, vergrößerte sich der Zeitunterschied zu Moskau – zum Unbehagen vor allem der pendelnden Firmenvertreter – abermals von zwei auf drei Stunden.

Es ist nicht die einzige Folge des russischen Sonderweges. An Initiativen, die alte Ordnung wieder zu etablieren, mangelt es daher nicht. Die meisten argumentieren mit Schäden für die biologische Uhr. Dieser Ansicht ist etwa der Abgeordnete Wladimir Gutenev, der soeben einen Gesetzesantrag eingebracht hat. Und abgeblitzt ist. Gewiss, Gutenevs Argument war etwas eigenwillig: „Die von den Ärzten angegebenen Prozente an Libidoverlust der Männer müssen das schönere Geschlecht unseres Landes ernsthaft nerven. Das ist ein großes Problem. Und die Stimmen der Frauen sind sehr laut zu vernehmen.“

Ärger mit Smartphones

Die Stimme Gutenevs indes war – zumindest fürs Erste – nicht laut genug. Dies, obwohl sich Technikfreaks echauffieren, dass ihre Smartphones und Tablets Ärger machen, indem sie automatisch auf Winterzeit umstellen. Dies, obwohl mancher Unternehmer über negative Auswirkungen – unter anderem wegen unausgeschlafener Mitarbeiter – klagt. Und dies, obwohl ein Abgeordneter von den Klagen auf dem Land erzählte, wo der Schulbus nur verschlafene Kinder abholt, weil es nach astronomischer Zeit erst fünf Uhr morgens sei.

Die Befürworter des „ewigen Sommers“ bekamen indes Schützenhilfe vom Industrie- und Handelsministerium. Im Mai hielt dieses fest, dass die bestehende Regelung weder die makroökonomischen Kennzahlen verringert noch die Länge des Arbeitstages verkürzt noch die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigt, dafür aber das Ausmaß des Energieverbrauchs gesenkt habe.

Und dennoch scheint Bewegung in die Sache zu kommen. Zwar wird sich heuer nichts mehr ändern, wie Vizepremier Dmitri Kozak kürzlich festgehalten hat. Aber zumindest für den Oktober 2014 besteht Aussicht. Das jedenfalls behauptet die russische Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ mit Verweis auf Regierungs- und Kreml-Kreise. Zur Diskussion stehe nun die Variante, die Sommerzeit zugunsten der normalen Winterzeit überhaupt aufzugeben und sozusagen auf den „ewigen Winter“ überzugehen.

Winterspiele in der Sommerzeit

Dass das aber für heuer „sicher unmöglich“ sei, wie Kozak sagt, hat in erster Linie mit den Olympischen Winterspielen zu tun. Diese starten am 7. Februar 2014. Vor zwei Wochen hat der Chef des russischen Organisationskomitees, Dmitri Tschernyschenko, Alarm geschlagen, dass ein Wechsel zur Winterzeit vor den Spielen Risken nach sich ziehe. Dem Veranstaltungsbudget könnte das Kosten von 300 Mio. Dollar bescheren. Die ganzen Verkehrsströme und die Logistik müssten neu modelliert werden. Außerdem drohen Kompensationszahlungen an internationale TV-Stationen, bei denen im Fall einer Zeitumstellung Werbeverträge abgeändert werden könnten: „Die Kosten der TV-Rechte für zwei Zyklen Olympischer Spiele, zu denen auch Sotschi gehört, belaufen sich auf 4,5 Mrd. Dollar.“

Gewiss, diese Ansicht schlägt sich mit der des Internationalen Olympischen Komitees. Dieses hat die russischen Machthaber darum gebeten, noch vor den Spielen auf Winterzeit zurückzustellen, damit diese zu einer für die EU angenehmeren Zeit gesendet werden können. Vergeblich.

Und so finden die Winterspiele in der Sommerzeit statt. Eigentlich nur konsequent, schließlich werden sie erstmals in einer Subtropenzone am Schwarzen Meer ausgetragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2013)

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