Die Mission des Rock-Imam

(c) Clemens Fabry
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Ahmet Muhsin Tüzer ist Imam in einem kleinen türkischen Dorf – und Sänger der Rockband Firock. Nun hat die Religionsbehörde disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet.

Ankara/Wien. Es ist wie mit einem Messer. Ein Messer kann nützlich sein, sagen wir am Frühstückstisch, ein Messer kann aber auch Unheil anrichten, alles eine Frage des Zugangs, sagt Ahmet Muhsin Tüzer. Sein Messer ist die Rockmusik. Er hat ein Mikrofon, seine Band, Firock, hat einen Proberaum, sie haben Bass und Schlagzeug – und das alles ist für die türkische Religionsbehörde Diyanet eine unangenehme Sache. Sie hat disziplinarrechtliche Schritte eingeleitet. Unlängst hat Tüzer einen Behördenvertreter zu Besuch gehabt, aber allen Unkenrufen zum Trotz sei das Gespräch positiv verlaufen. Seither wartet er auf einen Bescheid.

Tüzer ist Imam. Hauptberuflich jedenfalls, denn in seiner freien Zeit feilt er an Texten und Tönen. Als der „Rock-Imam“ wandert der 42-Jährige gerade durch die türkischen und internationalen Medien – und zieht dadurch den Unmut der Religionsbehörde auf sich. Imam und Rock – das passt für viele Gläubige nicht zusammen, erzählt er. Dabei singe Tüzer über Gott und Spiritualität, und für ihn ist es dieselbe Tätigkeit, die er auch im Gebetshaus ausübt, nur eben mit anderen Mitteln. Sein Zugang zu Rockmusik sei positiv und friedfertig besetzt, er sehe darin kein „teuflisches Machwerk“. Diese Kritik komme von jenen, die eine strenge und enge Wahrnehmung von Religion hätten, die also nach den fünf Säulen des Islam leben – etwa nach Mekka reisen und fasten – und keine neue Entfaltung akzeptieren würden. Und von jenen, die keinen anderen Glauben als den Islam akzeptieren würden, also fanatischen, radikalen Gruppen. Insgesamt überwiegen die negativen Rückmeldungen, erzählt der Imam. Das wilde Image der Rockmusik tue sein Übriges.

Queen und Pink Floyd

Bis nach Pinarbaşi ist der Lärm um Tüzer gar nicht gedrungen. Hier, rund zehn Kilometer nördlich des mediterranen Städtchens Kaş im Süden des Landes, befindet sich die Wirkungsstätte des Imam. Keine 15 Familien leben in Pinarbaşi, zum Freitagsgebet findet sich lediglich eine Handvoll älterer Herren ein. „Ich glaube nicht, dass sie Rockmusik verstehen“, sagt Tüzer über seine kleine Gemeinde. Man lasse ihn aber gewähren. Ist ihr Imam im Fernsehen, wird das sogar zum Dorfgespräch.

In seiner Musik – Queen ist sein Vorbild, Pink Floyd ebenso – versuche Tüzer, Rock mit Sufi-Elementen zu verbinden. Die erste Single, „Mevlaya gel“ (Komm zu Gott), versprüht dann auch mehr Ruhe als Rock, im Video ist im Hintergrund die Istanbuler Blaue Moschee zu sehen.
In der Blauen Moschee war Tüzer vor über einem Jahrzehnt als Muezzin tätig. Damals heiratete er eine Christin aus Rumänien, die Behörden haben die Ehe allerdings abgelehnt, und Tüzer legte sein Amt nieder. Drei Jahre nach ihrer Hochzeit habe seine Frau beschlossen, zum Islam zu konvertieren, erzählt er – aus eigenen Stücken. Nachdem er sich mit Kalligrafie und Kunst beschäftigt hatte, ist Tüzer seit nunmehr drei Jahren als Imam tätig. Seine Mission sei es, Gott überall hin zu tragen, oder besser gesagt: „Alle zum selben Gott einzuladen.“ Vor allem junge Menschen würden heute in einer Gesellschaft leben, die von allen Seiten Druck auf sie ausübe. Für sie sei es wichtig, sich auf das Wesentliche – er nennt es die Nuss in der Schale – zu besinnen. Tüzer verwendet gern Metaphern. Die Welt, sagt er, sei ein Spiegel. Diejenigen, die fluchen und schreien, würden sich letztlich selbst adressieren.

Seine Mission ist aber auch so etwas wie eine Imagereparatur. Entgegen vieler Vorurteile sei der Islam eine Religion der Toleranz und Nächstenliebe, das wolle er mit seiner Musik auch in die Welt hinaustragen. Bestenfalls hilft ihm dabei die Sängerin Madonna, mit der sich der Imam eine Zusammenarbeit wünscht. Auch sie sei spirituell veranlagt, sie würde seine Mission sofort verstehen, sagt er.

Erstes Album erscheint

Ihr erstes Konzert gaben Firock im August in Kaş, rund 1000 Besucher sind der Einladung gefolgt. Wenn in rund zwei Wochen das erste Album der Band erscheint, erwartet sich Tüzer mehr Aufmerksamkeit als bisher. Vor allem ausländische Magazine würden bei ihm bereits Schlange stehen für Reportagen, erzählt er. Etwas, was ihn sichtlich freut. Denn: Allein lässt sich wohl keine Mission von Pinarbaşi in die Welt tragen.

Zur Person

Ahmet Muhsin Tüzer. Der 42-Jährige ist als Imam im Dorf Pinarbaşi im Süden der Türkei tätig. Gleichzeitig ist er Sänger der Rockband Firock. Die Religionsbehörde Diyanet hat disziplinarrechtliche Schritte gegen Tüzer eingeleitet, jüngst fand die Befragung mit einem Behördenvertreter statt. Tüzer hat vor über zehn Jahren eine rumänische Christin geheiratet. Seine Frau sei einige Jahre später aus freien Stücken zum Islam konvertiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2013)

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