Der schwierige Kampf gegen die Verleugnung von HIV

(c) EPA (Stephen Morrison)
  • Drucken

In Kenia werden HIV-positive Menschen und ihre Kinder stigmatisiert. Eine Österreicherin kämpft dagegen an.

Nairobi. Mit ihren 31 Jahren hat Andrea Schwarz schon 550 Kindern auf dieser Welt geholfen. In Vorarlberg. In Afghanistan. Im Südsudan. Und nun in Kibera, einem kenianischen Slum. „Bei den dreien wird es noch etwas länger dauern“, sagt Schwarz gelassen, als sie durch den Wehensaal führt. Drei Frauen gehen in dem Zimmer auf und ab. Eine stöhnt laut. Es ist ihre erste Geburt. Schwarz leitet die Mutter-Kind-Abteilungen von drei Kliniken in dem Slum in Nairobi, der kenianischen Hauptstadt.

Schwarz kommt aus Höchst, einer knapp 8000 Einwohner zählenden Gemeinde am Bodensee. Nach mehreren Stationen in Österreich ging sie nach Afghanistan, als Hebamme für Ärzte ohne Grenzen (MSF). Ihre Erzählungen von dem drei Monate langen Aufenthalt im Südsudan klingen nicht weniger anstrengend. Nach einer mehrmonatigen Auszeit nahm Schwarz den Posten in Nairobi an.

Hier muss sie sich neuen Herausforderungen stellen. Rund 6,5 Prozent der Bevölkerung sind HIV-positiv, fast zweimal so viele Frauen wie Männer sind von dem Virus betroffen. Viele der Infektionen sind auf Promiskuität zurückzuführen. Trotz der hohen Zahl an Infizierten und der Bemühungen verschiedener Organisationen werden Betroffene weiterhin stigmatisiert. Hinzu kommt, dass Homosexualität in Kenia illegal ist und die Infektionsrate in dieser Bevölkerungsgruppe relativ hoch liegt. Kenias Regierung wurde mehrfach für ihre Ignoranz gegenüber der Krankheit kritisiert. Ex-Präsident Daniel Arap Moi erklärte die Aids-Epidemie 1999 zu einem „nationalen Desaster“. Dank intensiver Bemühungen der Regierung und internationaler Organisationen konnte die Zahl der HIV-Infektionen seit der Jahrtausendwende deutlich gesenkt werden.

Hilfe für infizierte Mütter

In der Klinik in Kibera sind HIV-Tests Routine. Doch braucht es dazu das Einverständnis der Patientinnen. Darum kümmert sich Siama Abraham. Vor 20 Jahren wollte sie in die USA auswandern. Ihr Ansuchen um eine Greencard verlangte, dass sie einen HIV-Test machte. Er war positiv. 2003 wurde sie schwer krank, Tuberkulose, Hautinfektionen. Ihr CD4-Zellwert lag bei 50. Das heißt, dass pro Kubikmillimeter Blut nur 50 Abwehrzellen vorhanden sind. Bei einem gesunden Menschen sind es etwa 500 bis 1500. Sie dachte über Selbstmord nach. „Ich dachte, ich müsste zuerst meinen Sohn töten. Dann mich.“ Denn sie würde sich nicht mehr um ihn kümmern können. Doch schließlich überzeugten sie Mitarbeiter der MSF-Klinik dazu, das Virus mit antiretroviralen Medikamenten zu bekämpfen. Dank der Behandlung liegt Abrahams CD4-Zellwert heute bei 720.

Seither arbeitet Abraham als Sozialarbeiterin für MSF. „Wenn eine Mutter positiv testet, dann bin ich die Erste, zu der sie geschickt wird“, sagt Abraham. Ihr größter Gegner: Verleugnung. Abrahams Taktik lautet: Offensive. „Ich sage den Patienten: ,Ich sorge mich nicht um dich. Du bist schon infiziert. Ich sorge mich um dein Baby.‘“

Nancy Akoth betritt das Besprechungszimmer. Sie ist 32. Vor 13 Jahren bekam sie eine Tochter – Alicia. Es war ungefähr zur selben Zeit, dass Akoth oft kränklich war. Fieber. Grippe. Lungenentzündungen. Ihre Schwester Esther drängte auf Arztbesuche. Sie ging in das Kenyatta-Krankenhaus, in mehrere andere Kliniken. Im MSF-Spital in Kibera wurde sie positiv auf HIV getestet. Die Nachricht war niederschmetternd. „Ich war mager und schwach. Ich fühlte mich schlecht und von der Gesellschaft ausgeschlossen“, sagt Akoth. „Ich nahm meine Tochter und brachte sie zu MSF zu einem Test.“ Alicia testete positiv. Inzwischen wissen ihre Lehrer Bescheid. Und auch manche Mitschüler. Es sei schwierig für ein junges Mädchen, erzählt die Mutter. „Glücklicherweise gibt es Selbsthilfegruppen – auch für Teenager“, sagt Akoth, während sie ihren Sohn Laurence auf ihrem Schoß wippt. Dank der Aufklärung, Vorsorge und der professionellen Behandlung, die sie in der Klinik erhalten hat, ist der pausbäckige sieben Monate alte Bub gesund.

Tabuthema Verhütung

Es sei schwierig, auch die Männer in die Beratung und Familienplanung miteinzubeziehen, erzählt Abraham. Die Österreicherin Andrea Schwarz bestätigt: „Das beliebteste Verhütungsmittel hier sind Dreimonatsspritzen. Männer wollen keine Kondome.“ Nach einer kurzen Pause fügt sie hinzu: „Wie überall anders auch.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.