Industrie-Gel in Brustimplantaten: Vier Jahre Haft

Jean-Claude Mas, PIP-Firmengründer, bleibt vorerst in Freiheit.
Jean-Claude Mas, PIP-Firmengründer, bleibt vorerst in Freiheit.(c) REUTERS/Jean-Paul Pelissier
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Haft- und Geldstrafe sowie ein Berufsverbot für PIP-Firmengründer Jean-Claude Mas. 7000 Frauen klagten in Marseille wegen gefährlicher Implantate.

Im ersten Strafprozess um Brustimplantate aus Billig-Silikon ist Firmengründer Jean-Claude Mas am Dienstag in Marseille zu vier Jahren unbedingter Haft und 75.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der 74-Jährige seine Kunden jahrelang bewusst getäuscht hat. Mas' Strafverteidiger kündigte umgehend an, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Das Strafgericht verhängte gegen Mas zudem ein Verbot, im Medizin- oder Gesundheitsbereich tätig zu sein und ein Unternehmen zu führen. Mas musste sich in dem Prozess wegen schwerer Täuschung und Betrugs verantworten. Er sei über das Urteil "enttäuscht, aber nicht überrascht", sagte sein Anwalt Yves Haddad. Wegen der Berufung und weil das Gericht keine sofortige Vollstreckung der Haftstrafe anordnete, bleibt Mas vorläufig auf freiem Fuß.

Vier ehemalige leitende Angestellte des französischen Herstellerunternehmens PIP (Poly Implant Prothese) erhielten teilbedingte Haftstrafen.

Anträge auf Entschädigung

Die Gruppe der Österreicherinnen ist die größte Gruppe ausländischer Betroffener in dem riesigen französischen Strafverfahren. In Summe geht es für die österreichischen Geschädigten um rund 580.000 Euro. "Das aktuelle Urteil ist für die betroffenen Frauen zunächst einmal eine Genugtuung. Es zeigt, dass Praktiken wie bei PIP nicht ungestraft bleiben", sagte Juristin Ulrike Wolf, die mit der französischen Rechtsanwältin Sigrid Preissl-Semmer die Urteilsverkündung in Marseille für den VKI verfolgte.

Sobald die Urteile rechtskräftig werden, ermöglichen sie den Geschädigten, bei SARVI (Service d’aide au recouvrement en faveur des victimes d’infractions) in Frankreich Anträge auf Entschädigung einzubringen. Da sich die Täter als vermögenslos deklariert hatten, bleibt nur dieser Weg, um zumindest einen Teil des Schadens ersetzt zu bekommen, erläuterte Wolf. "Der Fonds SARVI ersetzt Höchstbeträge bis zu 3000 Euro. Bei Schadenssummen, die sich im Einzelfall zwischen 4000 und 20.000 Euro bewegen, ist das nur ein Teil, aber jedenfalls mehr als nur ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Wolf.

Prozess gegen Versicherer läuft noch

Die rund 20 Musterprozesse des VKI gegen den französischen Haftpflichtversicherer von PIP, die Allianz Versicherung mit Sitz in Paris, laufen unterdessen weiter. Die Allianz bestreitet die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages und die Zuständigkeit für Frauen außerhalb Frankreichs. Die Versicherung war bisher auch nicht bereit, auf die Verjährung von möglichen Forderungen zu verzichten und damit eine – für beide Seiten – kostengünstige Klärung der Rechtsfragen zu ermöglichen. "Es überrascht uns sehr, dass eine Versicherung ganz offensichtlich darauf setzt, dass sich die Betroffenen eine Klage in Frankreich nicht leisten können und daher auf ihre möglichen Ansprüche verzichten", sagte dazu VKI-Jurist Kolba.

Mas: "Nicht giftig, nicht gefährlich"

Der Hauptangeklagte hatte in dem Betrugsprozess das letzte Wort: "Nicht giftig, nicht gefährlich" seien seine Brustimplantate gewesen, versicherte der heute 74-jährige Angeklagte Jean-Claude Mas. Nie bestritten hat der Franzose allerdings, dass er seine Produkte mit einem hausgemachten Billig-Industriesilikon füllte - statt mit dem eigentlich zugelassenen Gel.

Der Schwindel flog 2010 auf und löste weltweit einen der größten Skandale um Medizinprodukte aus.  Hunderttausende seiner minderwertigen Brustimplantate hatte Mas weltweit verkauft, in Deutschland waren etwa 5000 Frauen betroffen. Insgesamt haben rund 7400 Frauen geklagt. Die Einlagen reißen schneller und werden für Entzündungen verantwortlich gemacht, weshalb die Produkte der südfranzösischen Firma PIP häufiger wieder herausoperiert werden mussten.

"Täuschung, wie man sie selten gesehen hat"

"Es geht hier um ein System massiven Betrugs zum Schaden von tausenden Frauen, eine Täuschung, wie man sie selten gesehen hat", hatte Vize-Staatsanwalt Ludovic Leclerc in Marseille vor der Urteilsverkündung gesagt. Für die Angeklagten habe "das Geld über der Gesundheit anderer" rangiert. Allerdings konnte in mehreren Studien, über die während des Prozesses beraten wurde, keine Giftigkeit des PIP-Gels nachgewiesen werden. Manche Opfer machen die Billig-Einlagen für Krebserkrankungen verantwortlich.

Präzedenzfall möglich

Gutachten hätten gezeigt, dass von dem verwendeten Billig-Silikon "überhaupt keine Gefahr" ausgehe, sagte Verteidiger Yves Haddad während des Prozesses. Daher könne nicht von "schwerer" Täuschung die Rede sein. Er hatte einen teilweisen Freispruch für seinen Mandanten gefordert.

Für Mas und seine Mitangeklagten ging es in Marseille womöglich auch darum, ein Präzedenzurteil zu vermeiden, durch das eine Schädlichkeit der Implantate anerkannt würde. Denn gegen Mas laufen in Frankreich noch andere Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung. In einem Verfahren geht es auch um den Vorwurf des betrügerischen Bankrotts.

(APA/AFP/dpa)

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