Argentinien: Hitzechaos zu Weihnachten

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Tausende Argentinier verbrachten die Feiertage bei 37 Grad ohne Kühlschränke, Aufzüge und Wasser. Die Stromausfälle sind eine direkte Folge einer verfehlten Energiepolitik.

Buenos Aires. Sie haben Mülltonnen auf die Fahrbahn gerollt, Stühle, Obstkisten und Kartons. Die Avenida Corrientes haben sie gesperrt, jene Hauptarterie der Stadt Buenos Aires, die Geschäftsstraße ist, aber auch Kino- und Theatermeile. Sie sind nicht viele, vielleicht dreißig, vierzig Personen, die da in kurzen Hosen, leichten T-Shirts und mit schwitzenden und abgekämpften Mienen auf Töpfe einschlagen, um auf ihre miserable Lage aufmerksam zu machen: Vor zwei Wochen ist in ihrem Hochhaus der Strom ausgefallen und bis heute ist der Schaden nicht behoben worden.

Viele tausend Argentinier erlebten heuer unerträglich heiße Weihnachten – ohne Kühlschränke, Klimaanlagen und Ventilatoren. Aber auch ohne Aufzüge und ohne Wasser, denn in dem weitgehend flachen Land braucht es Elektropumpen, um das Nass in die oberen Geschoße zu bringen. Seit 13. Dezember stöhnen weite Teile des Landes unter einer Hitzewelle, die noch über den Jahreswechsel anhalten wird. Zu Heiligabend stieg das Thermometer in der Hauptstadt auf 37 Grad, am ersten Feiertag war es noch ein Grad wärmer. Die Behörden haben Alarmstufe rot ausgerufen. Das bedeutet, dass sich auch gesunde Personen vorsehen müssen – viel trinken, kühle Räume aufsuchen.

Wenn sie können. In ihrem Hochhaus seien mehr als zwanzig Pensionisten in überhitzen Wohnungen gefangen, ohne Lift und Wasseranschluss, berichtet Raquel, eine der Demonstranten, die auf der abgesperrten Avenida ausharren wollen, bis der Schaden behoben wird. An mehr als zwanzig Kreuzungen haben wutentbrannte Bürger ähnliche Ultimaten gestellt, sogar die Autobahn zum Flughafen wurde Mittwochfrüh komplett abgeriegelt. Doch die zwei privaten Versorger, die im 14-Millionen-Großraum Buenos Aires die Netze betreiben, sind völlig überfordert. Seit die Temperaturen anfingen zu steigen, begannen die Firmen, Straßenzüge vom Netz zu nehmen, damit die Kabel und Relaiskästen nicht schmelzten. Wo die Firmen zu spät abschalteten, passierte genau das. Bürger filmten per Handy explodierende Verteiler und schickten die Bilder an TV-Stationen, die sie natürlich fleißig wiederholten.

Massive Subventionen

Der Regierung fiel nicht viel mehr ein, als die Bürger zu bitten, die Klimaanlage daheim auf 24 Grad einzustellen und sie nicht laufen zu lassen, wenn niemand zu Hause ist. Was Jorge Capitanich, Kabinettschef von Präsidentin Cristina Kirchner, nicht erwähnte: Die von ihm kritisierte Energieverschwendung ist eine direkte Folge jener Politik, die von den Kirchners seit zehn Jahren praktiziert wird: Um den Konsum anzukurbeln, fror die Regierung die Tarife für Energie und Wasser auf dem Niveau von 2003 ein. Während alle anderen Waren und Dienstleistungen immer schneller immer teurer wurden (akkumuliert liegt die Inflation seit 2007 bei über 250 Prozent), wird der Energieverbrauch stark subventioniert. Resultat: Die Elektrizität für eine 100-m-Wohnung kostet im Monat nur fünf Euro. Diese Verzerrung hatte zwei Effekte: einen Boom an Elektrogeräten (in fünf Jahren wurden mehr als zehn Mio. Klimaanlagen verkauft), was allein in der Hauptstadt den Stromverbrauch um 60 Prozent steigen ließ. Zum anderen den systematischen Verschleiß der Infrastruktur. Die in den 1990er-Jahren privatisierten Versorger – zum Teil gehören sie ausländischen Konzernen – waren durch die festgezurrten Minitarife nicht motiviert, in die Netze zu investieren.

Während die Sonne weiter über der Pampa brütet, bleibt Bürgern und Behörden vorerst nur eine Zuflucht: der Strand! Nach Weihnachten beginnen für viele Argentinier die Sommerferien. Nun hoffen alle, dass möglichst viele Menschen die heiße Hauptstadt vorübergehend verlassen und ihre Klimageräte abschalten werden. Mit einer schnellen Sanierung des Stromnetzes rechnet niemand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2013)

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