Indien: Vergewaltigung als Strafe

Indien, Vergewaltigung, Birbhum
Indien, Vergewaltigung, Birbhum(c) APA/EPA/MONEY SHARMA (MONEY SHARMA)
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Ein Dorfrat ordnet die Massenvergewaltigung einer jungen Frau an, weil sie sich nicht an die Regeln ihres Stammes gehalten habe.

Neu-Delhi/Wien. Und wieder ist es in Indien zu einer Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau gekommen: Das besonders Perfide an diesem Fall ist, dass der Ältestenrat ihres Dorfes die Vergewaltigung als Strafe gegen die 20-Jährige verhängt hat. Ihr Vergehen: Sie hatte eine Beziehung zu einem Mann aus einem Nachbarort.

Bevor der Dorfrat von Birbhum im indischen Staat Westbengalen zu Gericht saß, wurden die beiden Angeklagten an zwei Bäume auf dem Dorfplatz gefesselt. Der Dorfrat entschied dann, dass jeder die (unerschwingliche) Summe von 25.000 Rupien – umgerechnet 300 Euro – zu zahlen habe. Und da die Frau die Regeln ihres Stammes gebrochen habe, solle sie als Strafe vergewaltigt werden.

Die Mutter des Opfers berichtete einer indischen Zeitung: „Mein Mann, mein Sohn und ich wurden von der Versammlung verjagt. Dann brachten sie meine Tochter in ein Haus.“ Später wurde die Frau verletzt vor ihrem Elternhaus „abgelegt“. Trotz Drohungen brachte die Familie das Opfer in ein Krankenhaus. Die 20-Jährige erstattete später Anzeige gegen ihre 13 Vergewaltiger, darunter den Ortschef.

Rascher Ruf nach Todesstrafe

Der Vorfall schlägt in ganz Indien Wellen – als der jüngste in einer langen Reihe von brutalen Gruppenvergewaltigungen: Mitte Dezember 2012 war eine junge Studentin Opfer einer Massenvergewaltigung in einem Bus in Neu Delhi geworden und wenig später an ihren schweren Verletzungen gestorben. Die indische Öffentlichkeit war durch den Fall aufgewühlt worden: Tausende Frauen und Männer gingen auf die Straße, um gegen Sexualgewalt gegen Frauen in der von Männern dominierten indischen Gesellschaft zu demonstrieren.

Seither ist vieles in Indien ins Rollen gekommen, als Beginn einer tiefgreifenden Veränderung, wie die Frauenrechtlerinnen des Landes hoffen. Im März des Vorjahrs wurden die Gesetze geändert: Vergewaltigern droht in besonders schweren Fällen die Todesstrafe. Die vier Männer, die für den Tod der Studentin aus Neu-Delhi verantwortlich sind, wurden im August zum Tod verurteilt. Den Peinigern einer dänischen Touristin wiederum, die vor rund zwei Wochen in einem belebten und bei Touristen beliebten Viertel Neu-Delhis vergewaltigt und ausgeraubt wurde, droht lebenslange Haft.

Die Forderung nach der Todesstrafe wird seit deren Einführung aber auch recht rasch und inflationär erhoben: So will der Gouverneur von Westbengalen auch im jüngsten Fall die härteste Bestrafung der mutmaßlichen Täter.

Zahl der Anzeigen nimmt zu

Außerdem zeigen jetzt viel mehr Frauen ihre Vergewaltiger an. In Neu-Delhi brachten in den ersten neuen Monaten des Vorjahrs 1330 Frauen Anzeigen bei der Polizei ein – um 706 mehr als im gesamten Jahr 2012. Das sei ein Indiz dafür, dass die Diskussion über Frauenrechte nun endlich in der Gesellschaft angekommen sei, kommentieren Nicht-Regierungsorganisationen die Situation.

Für die Opfer bedeutete bisher die Meldung einer Vergewaltigung soziales Stigma. Zu oft seien sie abgewiesen worden, weil die Polizei sie nicht ernst genommen habe. Manchmal rieten die Behörden den Opfern sogar, ihre Vergewaltiger zu heiraten, um die Ehre der Familie zu retten. Eine Änderung dieser tief verankerten Denkmuster brauche aber Zeit, meinen NGOs.

Dorfrat als geheime Macht

Der jüngste Fall aus dem entlegenen Dorf in Westbengalen zeigt allerdings noch ein weiteres Problem auf: die Macht der inoffiziellen Gerichte in den Dörfern verschiedener Stämme. Die Adivasi, die indigene Bevölkerung Indiens, machen in Westbengalen mehr als fünf Prozent der Bevölkerung aus, gelten aber als vom Staat besonders vernachlässigt und unterdrückt.

Die Regierung Westbengalens hat in der Vergangenheit immer wieder versucht, den Einfluss der Recht sprechenden Dorfversammlungen, die sich außerhalb des Rechtsstaates bewegen, einzudämmen. Das dürfte aber anscheinend bis heute nicht gelungen sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2014)

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