Pistorius-Prozess: Zeugin hörte Schreie und Schüsse

Oscar Pistorius ist am ersten Prozesstag in Pretoria mit belastenden Zeugenaussagen konfrontiert.
Oscar Pistorius ist am ersten Prozesstag in Pretoria mit belastenden Zeugenaussagen konfrontiert.(c) APA/EPA/THEMBA HADEBE
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Pistorius plädiert auf "nicht schuldig". Der Zeugen-Marathon begann mit einer Nachbarin, die den Sprintstar auf Prothesen schwer belastete.

Mit der Zeugenbefragung einer Nachbarin ging der erste Prozesstag gegen Oscar Pistorius in Pretoria zu Ende. Ihre Aussage über Schüsse und Schreie wurden von Pistorius' Verteidiguns-Team intensiv hinterfragt. Ein fehlender Dolmetscher hatte den Beginn des spektakulären Mordprozesses gegen den Paralympics-Star verzögert. Erst kurz nach 10:30 Uhr betrat Richterin Thokozile Matilda Masipa schließlich den vollen Gerichtssaal in Pretoria. Mehrere Fernseh- und Radiostationen berichten live vom Prozess. Der Sportstar, der auf zwei Unterschenkelprothesen Sportgeschichte schrieb, hatte in der Nacht auf den 14. Februar 2013 seine Freundin, das Model Reeva Steenkamp, in seiner Wohnung durch eine verschlossene Badezimmertür erschossen.

Pistorius plädiert weiterhin auf "nicht schuldig", sagte er zum Auftakt. "Ich näherte mich bewaffnet dem Badezimmer, damit ich Reeva und mich verteidigen konnte. Ich glaubte, Reeva wäre noch im Bett", so Pistorius. Der 27-Jährige beharrte von Anfang an auf seiner Version, er habe einen Einbrecher in der Wohnung vermutet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gezielten Mord vor. Seit Ende Februar 2013 ist Pistorius gegen Kaution in Freiheit. Während den ersten Zeugenaussagen machte er sich eifrig Notizen, berichten Augenzeugen des Prozesses per Twitter.

Der Prozess ist zunächst auf 15 Verhandlungstage angesetzt. Bei dem Indizienprozess wird es besonders um die Glaubwürdigkeit des Angeklagten gehen. Am Dienstag wird der Prozess um 9.30 Uhr Ortszeit (8.30 Uhr unserer Zeit) fortgesetzt.

Hauptangriffspunkte der Anklage sind die nicht immer widerspruchsfreien Zeugenaussagen und die Ermittlungspannen der Polizei. Chefermittler Hilton Botha hätte den Tatort nicht ausreichend abgesichert, weswegen zahlreiche Spuren verfälscht worden seien, gab der Anwalt die Verteidigungslinie vor.

Glaubwürdigkeit spielt zentrale Rolle

Nach der Anklageverlesung hat die Zeugenvernehmung begonnen: Geladen sind allein von der Anklagebehörde 107 Polizisten, Forensiker und andere Experten sowie Nachbarn und Personen aus dem persönlichen Umfeld von Pistorius und des Opfers. Die Richterin verfügte bei der ersten Zeugin, Nachbarin Michelle Burger, dass ihr Gesicht nicht im Fernsehen gezeigt werden soll.

Burger blieb die einzige Zeugin am ersten Prozesstag. Sie belastete Pistorius schwer. Sie habe in der Tatnacht die heftige, "entsetzliche" Schreie einer Frau gehört und danach vier Schüsse. Nach einer Mittagspause, wurde die Burgers Aussagen von den Verteidigern hinterfragt. Immer wieder unterbrach die Zeugin ihre Dolmetscherin, die von Afrikaans auf Englisch übersetzte und forderte eine akkuratere Wiedergabe ihrer Worte.

Die Verteidigung zweifelte an, ob Burger das Geräusch einer Waffe von dem Geräusch eines Baseballschlägers unterscheiden könne, der gegen eine Holztüre kracht. "Ich denke, die meisten Südafrikaner wissen, wenn sie einen Schuss hören", entgegnete Burger. Pistorius' Anwalt Roux hatte auch eine Erklärung für die laut Zeugin Schreie einer Frau. Diese könnten von Pistorius selbst stammen, da sich dessen Stimme in angespannten Situationen überschlagen würde.

June Steenkamp will Pistorius vergeben

Reeva Steenkamps Mutter könnte sich vorstellen, Pistorius dessen tödliche Schüsse auf ihre Tochter zu verzeihen, will dem Täter aber vorher in die Augen blicken. "Ich werde bereit sein, ihm zu vergeben", sagte June Steenkamp vor dem Prozessauftakt am Montag der Zeitung "The Star". Sie und Pistorius hielten seit dem Tod von Reeva Steenkamp im Prozess erstmals wieder im selben Raum auf. June Steenkamp wolle Pistorius zwingen, sie anzublicken, damit er den Kummer und den Schmerz sieht, den er mir bereitet hat", sagte die 67-Jährige.

June Steenkamp kommt beim Gericht in Pretoria an.
June Steenkamp kommt beim Gericht in Pretoria an.(c) REUTERS (MIKE HUTCHINGS)

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Fall Pistorius: Die zentralen Fragen

Gab es in der Tatnacht Streit?

Pistorius betonte bisher, er und Steenkamp hätten am Valentinstag vergangenen Jahres einen ruhigen Abend zuhause verbracht. Die Staatsanwaltschaft wird dies in Frage stellen. Nachbarn sagten aus, sie hätten lautes Rufen und Schreie aus dem Haus des Paares gehört. Auch die Mobilfunkdaten von Pistorius und Steenkamp könnten Indizien für eine Auseinandersetzung liefern. Steenkamp soll ihr Handy mit auf die Toilette genommen haben, als sie getötet wurde. Unklar ist, ob sie von dort aus jemanden anrief.

Warum rief Pistorius nicht die Polizei?

Nach eigener Darstellung wählte Pistorius zwei Nummern, als er erkannte, dass er auf Steenkamp geschossen hatte: Die von Johan Stander von der Verwaltung des streng bewachten Wohnkomplexes, in dem sein Haus steht, außerdem die des privaten Gesundheitsdienstes Netcare. Die Anklage wird vermutlich Pistorius' Beziehung zu Stander untersuchen. Außerdem wird zu klären sein, warum Pistorius angeblich Sicherheitsleute abwimmelte, die nach den Schüssen bei ihm klingelten. Demnach schickte er sie weg und gab an, es sei alles in Ordnung. Die Staatsanwaltschaft könnte versuchen nachzuweisen, dass Pistorius Steenkamp tötete und dann versuchte, Beweise zu vertuschen.

Hat die Polizei am Tatort Spuren verwischt?

In der Kautionsverhandlung räumte der damalige leitende Ermittler Hilton Botha Pannen bei der Spurensicherung ein. Demnach betrat er Pistorius' Haus ohne entsprechende Schutzschuhe, außerdem ging Munition vom Tatort verloren. In dem Fall werden forensische Indizien und Beweismittel vermutlich eine Schlüsselrolle spielen. Die nachlässige Untersuchung des Tatorts könnte die Zuverlässigkeit dieser Indizien in Frage stellen. Vertreter der Anklage räumten bereits ein, dass Pistorius von der Badezimmertür vermutlich weiter entfernt war als zunächst angenommen, und dass er seine Beinprothesen womöglich doch nicht getragen hat. Beides führte die Staatsanwaltschaft zunächst als Indizien dafür an, dass Pistorius nicht in Panik handelte, sondern vorsätzlich.

(APA/dpa/Red.)

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