China: "Sie zerhackten, wen sie konnten"

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Zehn Unbekannte verübten auf einem Bahnhof in Südwestchina mit Messern und Macheten ein Massaker: 34 Tote, über 130 Verletzte. Die Behörden verdächtigten sofort Uiguren.

Peking. Das Internet ist blockiert. Auf Flughäfen, in U-Bahnstationen und an Einfallstraßen stehen mehr Sicherheitskräfte als sonst. Selbst Soldaten der Volksbefreiungsarmee sind im Einsatz. Jedes Jahr Anfang März, wenn Chinas offiziell höchstes Staatsorgan, der Nationale Volkskongress (NVK), mit rund 3000 Delegierten zur jährlichen Sitzung zusammentritt, herrscht im ganzen Land höchste Sicherheitsstufe. Nichts soll den Ablauf der zweiwöchigen Sitzungswoche stören, wenn die chinesische Führung einmal im Jahr den Anschein von Demokratie erwecken will.

Dann das: Samstagabend, wenige Tage, bevor in Peking der Kongress beginnen soll, drängen zehn in Schwarz gekleidete Personen in den Bahnhof der südwestchinesischen Provinzhauptstadt Kunming. Schon auf dem Vorplatz zücken sie ihre Messer und Macheten und stechen Augenzeugen zufolge wahllos auf überraschte Passanten ein. Vor dem Ticketschalter im Bahnhofsgebäude kommt es dann zum regelrechten Massaker.

Massenpanik im Bahnhof

Mindestens 34 Tote und mehr als 130 Verletzte – das ist die Bilanz des blutigsten Anschlags in China seit Jahrzehnten. Die Angreifer haben 29 Menschen ermordet, die Polizei erschoss vier Angreifer, ein Polizist wurde getötet, eine mutmaßliche Täterin verhaftet. Fünf Täter konnten fliehen. Noch drei Stunden nach der Bluttat waren Ambulanz und Sicherheitskräfte damit beschäftigt, die vielen Opfer zu bergen, die auf dem Vorplatz und in der Bahnhofshalle zwischen blutverschmierten Koffern und Taschen lagen.

„Ich dachte zunächst an einen harmlosen Streit“, schildert Liu Chen, ein 19-jähriger Student, gegenüber der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. „Aber als ich Blut sah und die Leute schreien hörte, rannte ich weg so schnell ich konnte.“ Yang Haifei, ein weiterer Augenzeuge, berichtet von Massenpanik. Menschen, die nicht schnell genug wegrennen konnten, seien niedergestochen worden. „Sie fielen einfach zu Boden.“ Er selbst wurde von den Messerhieben an Brust und Rücken getroffen und liegt im Krankenhaus.

Die Studentin Qiao Yunao wird Zeugin, wie direkt vor ihr ein Angreifer einem Mann den Hals aufschlitzt. „Der hatte ein Wassermelonenmesser“, berichtet sie tränenüberströmt und mit Blutflecken auf der Bluse im Staats-TV. „Sie zerhackten, wen sie konnten.“

Die Spurensicherung war noch im Gang, als die Sicherheitsbehörden bereits mitteilten: „Die Beweise deuten auf einen von separatistischen Kräften in Xinjiang verübten Terrorakt.“ Konkret verdächtigen sie Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Uiguren, die in der Provinz Xinjiang im Nordwesten Chinas leben.

Terrorismus schwappt über

Eine Mehrheit der Uiguren fühlt sich von den chinesischen Behörden in ihrer eigenen Heimat unterdrückt. Sie werfen dem chinesischen Staat vor, dass sie ihre Religion nicht frei ausüben dürfen. Die zugezogenen Han-Chinesen würden sie diskriminieren. Peking wiederum wirft den Uiguren Terrorismus und Separatismus vor. Immer wieder kommt es zu Anschlägen gegen Einrichtungen der chinesischen Polizei oder des Militärs. Die Sicherheitsbehörden antworten mit Razzien und Massenfestnahmen.

Bis vor Kurzem spielten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der Provinzgrenzen von Xinjiang ab. Anfang November aber raste eine angeblich uigurische Familie absichtlich mit einem Geländewagen in eine Menschenmenge direkt unter dem symbolträchtigen Tor auf dem Tiananmen-Platz in Peking. Das Auto brannte aus, die drei Insassen und zwei Passanten starben, 38 Personen wurden verletzt.

Doch auch die chinesische Seite hat den Konflikt ausgeweitet. Vor einem Monat nahm die Pekinger Polizei den prominenten uigurischen Ökonomen Ilham Tohti fest und erhob vergangene Woche Anklage gegen ihn. Ihm werden „separatistische Bestrebungen“ vorgeworfen. Seinem Anwalt zufolge droht Tohti die Todesstrafe.

Unmittelbar nach dem Anschlag auf dem Tiananmen-Platz wies Tohti darauf hin, dass nicht jeder Anschlag in China auf organisierte militante Uiguren zurückzuführen sei. Auch in anderen Kreisen sei die Unzufriedenheit groß.

AUF EINEN BLICK

Das Kunming-Massaker. Zehn schwarz gekleidete Angreifer haben in der Nacht zum Sonntag im Bahnhof von Kunming, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Yunnan, 29 Menschen erstochen. Vier Angreifer wurden von der Polizei getötet, eine Person wurde verhaftet, fünf Angreifer konnten zunächst entkommen. Am Sonntag erlag auch ein Polizist seinen schweren Verletzungen. Die chinesischen Behörden sprachen von einem Terroranschlag und machten uigurische Separatisten für das Gemetzel verantwortlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2014)

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