Prozess: Wie weiblich kann Pistorius' Stimme klingen?

Sprintstar Oscar Pistorius gab sich auch am zweiten Verhandlungstag in Pretoria gefasst.
Sprintstar Oscar Pistorius gab sich auch am zweiten Verhandlungstag in Pretoria gefasst.(c) APA/EPA/KIM LUDBROOK/POOL
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Pistorius' Anwalt Barry Roux hinterfragt die Ohrenzeugenberichte. Eine Zeugin bricht in Tränen aus. Erneut gibt es Dolmetsch-Missverständnisse.

Tag zwei in einem der spektakulärsten Prozesse in Südafrikas jüngerer Vergangenheit: Sprintstar Oscar Pistorius, der auf Beinprothesen bei den Olympischen Spielen teilgenommen hatte, muss sich in Pretoria wegen Mordes an seiner Freundin Reeva Steenkamp verantworten. Pistorius plädierte am Montag wie erwartet auf "nicht schuldig". Er bleibt bei seiner Version, dass er einen Einbrecher im Badezimmer vermutete und deshalb durch die verschlossene Türe schoss. Drei Zeugen wurden am Dienstag von Staatsanwalt Gerrie Nel und Chef-Verteidiger Barry Roux in die Mangel genommen. Ihre Aussagen bezüglich Schuss-Anzahl, Stimmen in der Nacht und Schreien wurden vor allem von Pistorius' Verteidigung zum Teil massiv in Frage gestellt. Mit Dolmetschern hat das Gericht weiterhin kein Glück. Nach drei Zeugen vertagte das Gericht auf Mittwoch.

Dienstagmorgen stand erneut Zeugin Michelle Burger im Kreuzverhör. Pistorius' Nachbarin musste Anwalt Barry Roux erneut detailliert erklären, wie sie die Schreie und Schüsse in der Tatnacht wahrgenommen hatte. Zeugin Burger sagte am zweiten Tag auf Englisch aus, sie verzichtete auf einen Dolmetscher, der am ersten Tag mit unpräzisen Übersetzungen für Verwirrung gesorgt hatte. Burger muss - wie alle folgenden Zeugen auch - Verteidiger Barry Roux mit "Mylady" ansprechen, da ihre Antworten technisch gesehen ausschließlich Richterin Thokozile Matilda Masipa gelten, auch wenn die Herren Anwälte die Fragen stellen.

Burger gibt zu, nicht an die Einbrecher-These zu glauben. Sie habe ihre Version der Schreie und Schüsse auch nie geändert. Das sieht Verteidiger Roux anders. "Sie haben Sky News gesehen, Sie haben andere Nachrichtenkanäle gesehen, sie haben ein rückblickendes Wissen und Sie sind damit vor Gericht erschienen."

Die Hauptkritikpunkte der Verteidigung an der Zeugenaussage von Michelle Burger:

  • Sie behaupte zwar einen Mann und eine Frau schreien gehört zu haben, kenne aber Pistorius' Stimme nicht, wenn er aufgeregt sei.
  • Wie könne sie Schreie einer Frau überhaupt gehört haben, wenn diese im Badezimmer war und sowohl Fenster und Türe geschlossen war.
  • Das Geräusch eines Cricket-Schlägers gegen eine Tür würde ähnlich wie Schüsse klingen. Pistorius verwendete einen Schläger um nach den Schüssen die Türe zu öffnen. Burger könne nicht mit Sicherheit sagen, Schüsse gehört zu haben. Burger ist sich allerdings sicher, muss aber eingestehen, dass sie nicht weiß, wie ein Cricket-Schläger beim Aufprall auf eine Tür klingen würde.

Die Glaubwürdigkeit der Zeugin

Die Verteidigung versuchte die Glaubwürdigkeit der Universitätsdozentin Burger zu beschädigen. Ein intensiver Höhepunkt des Kreuzverhörs, war jener Moment, in dem Verteidiger Roux die Zeugin fragte, weshalb die männliche Stimme - wie von der Zeugin mehrfach zu Protokoll gegeben - nach den Schüssen um Hilfe gerufen hätte, wenn es ein Mord gewesen sei. Auf Burgers Antwort, es könnte ein Schauspiel ("mockery") von Pistorius gewesen sein, hatte Roux gewartet. "Sie würden sogar eher soweit gehen, Ma'am, es ein Schauspiel zu nennen, bevor Sie irgendeine Aussage tätigten, die diesem Mann (Pistorius, Anm.) helfen würde", sagte Roux. Staatsanwalt Nel legte Einspruch gegen diese Aussage ein; stattgegeben.

Bei der Beschreibung, wie die Kugeln Reeva Steenkamp hinter der geschlossenen Badzimmertür trafen, verbirgt Pistorius sein Gesicht hinter seinen Händen. Ein Verwandter reicht ihm ein Taschentuch. Auch Zeugin Burger wurde kurz darauf emotional, als Ankläger Gerrie Nel sie nach ihren Emotionen in der Tatnacht fragt. Ihre Stimme wird brüchig. Sie kämpft mit den Tränen. Danach wird sie aus dem Zeugenstand entlassen.

Als dritter Zeuge kam Burgers Ehemann Carl Johnson zu Wort. Auch er hatte kein Glück mit seinem Dolmetscher. Wie seine Frau setzt er nach anfänglichen Versuchen in Afrikaans seine Aussage in Englisch fort. Das Gericht muss Johnson zwei Mal auffordern lauter zu sprechen. Im Grunde bestätigt er die Aussagen seiner Frau. Er glaubte jedoch in dieser Nacht nicht an einen Fall häuslicher Gewalt. Denn er will eine männliche und eine weibliche Stimme um Hilfe rufen gehört haben.

Weitere Nachbarin im Zeugenstand

Vor Johnson hatte Estelle Van der Merwe ausgesagt, eine weitere Nachbarin von Pistorius Wohnung. Die beiden Wohnhüser liegen etwa 98 Meter Luftlinie voneinander entfernt. Am 14. Februar um 1.56 in der Früh hörte sie laute Stimmen, wie in einem Streit. Um etwa 3 Uhr in der Früh wurde Van der Merwe erneut durch "vier Geräusche" geweckt. Erneut gab es Probleme mit der Übersetzung von Afrikaans auf Englisch. Die Dolmetscherin, deren englische Übersetzung akkustisch schwer zu verstehen war, übersetzte "Geräusche" mit "Schüsse" ("gunshots") und wird von den Anwälten zurechtgewiesen. Van der Merwe spricht von vier Geräuschen ohne Unterbrechung. Sie ist sehr nervös. Zu Beginn bittet Staatsanwalt Nel das Gericht um Geduld und fordert die Zeugin immer wieder auf, sich zu entspannen.

Spannend wurde es noch einmal, als die Verteidigung auf den Klang der Stimmen zurückkommt. Eine der Strategien von Barry Roux ist es, die von Michelle Burger als weiblich wahrgenommen Schreie Oscar Pistorius zuzuschreiben. Diese These stützt Van der Merwe. Sie hätte gedacht, es hätte eine Frau geschrien, ihr Gatte jedoch, der lose, aber regläßig mit Pistorius in Kontakt war, hätte gemeint, es handle sich um die Stimme des Sprinters.

Warnung an die Medien

Zu Beginn des Verhandlungstags war der Prozess nach rund einer halben Stunde für kurze Zeit unterbrochen worden. Chef-Ankläger Gerrie Nel berichtete, dass die Zeugin Burger auf einem Standbild im TV gezeigt wurde, was gegen die Order des Gerichts verstoßen hätte. Richterin Masipa prüft den Vorwurf. Sie warnt die Medien, sie sollten sich an die Regeln halten, andernfalls würden sie nicht "mit Samthandschuhen behandelt werden".

Pistorius wendet sich vor Beginn des zweiten Prozesstages an seine Familie.
Pistorius wendet sich vor Beginn des zweiten Prozesstages an seine Familie.(c) APA/EPA/KIM LUDBROOK/POOL (KIM LUDBROOK/POOL)

Die wichtigsten Punkte vom ersten Prozesstag am Montag:

  • Zeugin Michelle Burger, eine Nachbarin, berichtet von "entsetzlichen Schreien" ("bloodcurdling screams") in der Nacht von 14. auf 15. Februar 2013.
  • Burger hörte zwei Menschen schreien, einen Mann und eine Frau. "Die Angst in der Stimme der Frau; man fürchtete sich so nur, wenn das eigene Leben in Gefahr ist", sagte die Zeugin.
  • Burger hörte vier Schüsse, wobei zwischen dem ersten und zweiten, bzw. zwischen dem zweiten und dritten Schuss eine Pause gewesen sei.
  • Pistorius erklärte, er näherte sich dem Badezimmer mit einer Waffe, um Steenkamp zu schützen. Er beschuldigte die Ermittler einmal mehr, keine substantiellen Beweise zu haben, um einen Mord zu argumentieren.
  • Der Sportler beschuldigte die Ermittler auch, nicht aussagekräftige Beweise dazu verwenden, seine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. Die These, er hätte Steenkamp ermordet, könne nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein.
Medienrummel an Tag eins am Montag vor dem Gericht in Pretoria.
Medienrummel an Tag eins am Montag vor dem Gericht in Pretoria.(c) APA/EPA/WERNER BEUKES (WERNER BEUKES)

>> Livestream vom Pistorius-Prozess

(klepa)

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