Pistorius-Anwalt verunsichert Zeugin

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Am zweiten Tag des Mordprozesses versuchten die Anwälte des Sprinters die Glaubwürdigkeit der Zeugen zunichtezumachen. Auch die Dolmetscherpannen setzten sich fort.

Pretoria/Wien. Als sein Anwalt Barry Roux die Schüsse auf Reeva Steenkamp detailliert beschreibt, vergräbt Oscar Pistorius das Gesicht in seinen Händen. Ein Angehöriger reicht ihm ein Taschentuch. Es war die einzige sichtbare Emotion jenes Mannes, der bis vor rund einem Jahr ein Nationalheld in Südafrika war. Nun steht jener Sprinter, der auf Prothesen an den Olympischen Spielen teilnahm, vor Gericht in Pretoria, weil er seine Freundin erschossen hat – ein Faktum. Vier Schüsse gab der Sportler ab, auch so viel steht fest.

Die Frage, die Richterin Thokozile Matilda Masipa beantworten muss, ist jene nach dem Vorsatz. Gab es in der Tatnacht Streit zwischen Pistorius und Steenkamp? Warum rief Pistorius nicht die Polizei? Hat die Polizei am Tatort Spuren verwischt?

Am Dienstag war Michelle Burger erneut in den Zeugenstand gerufen worden. Die Universitätsprofessorin und ihr Mann Carl Johnson wohnen nicht weit vom Tatort entfernt. Burger musste Anwalt Roux wie bereits tags zuvor detailliert erklären, wie sie die Schreie und Schüsse in der Tatnacht wahrgenommen hatte. Er stellte die Glaubwürdigkeit der Zeugin massiv infrage: Tatsächlich gab Burger zu, nicht an die Einbrecherthese von Pistorius zu glauben. Sie habe ihre Version der Schreie und Schüsse aber nie geändert. Verteidiger Roux sieht das anders. „Sie haben Sky News gesehen, Sie haben andere Nachrichtenkanäle gesehen, sie haben ein rückblickendes Wissen und Sie sind damit vor Gericht erschienen.“

Zeugen nicht ganz einig

Ein intensiver Höhepunkt des Kreuzverhörs war jener Moment, in dem Roux die Zeugin fragte, weshalb die männliche Stimme – wie von der Zeugin mehrfach zu Protokoll gegeben – nach den Schüssen um Hilfe gerufen hätte, wenn es ein Mord gewesen sei. Auf Burgers Antwort, es könnte ein Schauspiel („mockery“) von Pistorius gewesen sein, hatte Roux bereits gewartet. „Sie würden sogar eher so weit gehen, Ma'am, es ein Schauspiel zu nennen, bevor Sie irgendeine Aussage tätigten, die diesem Mann (Pistorius, Anm.) helfen würde“, warf Roux ihr entgegen. Staatsanwalt Gerrie Nel legte Einspruch gegen diese Aussage ein; dem wurde stattgegeben.

Die Verteidigungslinie von Pistorius' Anwälten ist klar: Keiner der bisher aufgetretenen drei Zeugen erzähle die exakt selbe Geschichte. Gab es Schreie einer Frau und eines Mannes? Die Stimme von Pistorius würde sehr hoch klingen, wenn er aufgeregt oder in Panik ist, sagt Roux. Auch, ob die Zeugen tatsächlich die Schüsse gehört hätten und nicht die anschließenden Geräusche eines Cricket-Schlägers, mit dem Pistorius die durchschossene Badezimmertür aufbrach, stellte Roux infrage. So gelingt es ihm, die Zeugen zu verunsichern. Denn obwohl Burger laut eigenen Angaben weiß, wie eine Schusswaffe klingt, muss sie dennoch eingestehen, nicht zu wissen, welches Geräusch ein Cricket-Schläger macht, der auf eine Türe kracht. Am Ende des etwa vierstündigen Verhörs konnte Burger ihre Emotionen nicht mehr zurückhalten. Sie brach in Tränen aus, als sie die Schreie von Reeva Steenkamp beschreiben sollte. „Es war grauenhaft, ihre Schreie zu hören“, sagte sie mit brüchiger Stimme. Die Aussagen von Burgers Mann und die einer weiteren Nachbarin, Estelle Van der Merwe, brachten kaum neue Erkenntnisse.

Erneut gab es am Dienstag hingegen Probleme mit der Übersetzung von Afrikaans ins Englische. Van der Merwes Dolmetscherin, deren englische Übersetzung in der TV-Übertragung akustisch schwer zu verstehen war, übersetzte „Geräusche“ mit „Schüsse“(„gunshots“) und wurde von den Anwälten zurechtgewiesen. Auch Zeuge Carl Johnson verzichtete nach kurzer Zeit wegen Ungenauigkeiten auf seinen Dolmetscher und sagte nur noch auf Englisch aus. Seine Frau hatte nach ähnlichen Erfahrungen am ersten Tag am Dienstag ebenfalls auf einen Dolmetscher verzichtet.

Richterin mahnt Medien

Die Zeugen werden bei der Live-Übertragung des Prozesses nur gezeigt, wenn sie dies ausdrücklich wünschen. Zu Beginn des gestrigen Verhandlungstages musste der Prozess nach rund einer halben Stunde deshalb für kurze Zeit unterbrochen werden. Chefankläger Nel berichtete, dass der TV-Sender eNCA ein Standbild von Zeugin Burger zeigte. Richterin Masipa warnte daraufhin die Medien mit scharfer Stimme, sie sollten sich an die Regeln halten.

Für Südafrika ist die Live-Übertragung aus dem Gericht eine Premiere. Erst der Kompromiss, dass Zeugen nicht gezeigt werden, wenn sie dies wünschen, machte die Übertragung möglich.

13 Verhandlungstage sind noch geplant. (klepa)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2014)

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