Norwegen: Wartelisten für einen Platz in der Gefängniszelle

Anders Anundsen
Anders Anundsen(c) APA/EPA/FREDRIK VARFJELL
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Die Gefängnisse sind so überfüllt, dass selbst gefährliche Straftäter freigelassen werden müssen. Einen „Export“ nach Schweden lehnte Stockholm vorerst ab.

Stockholm/Oslo. Norwegen leidet unter akutem Mangel. In dem dank Öl und Gas reichsten Land Europas fehlt es an Krankenhausplätzen, an Ärzten und Krankenschwestern. Und es fehlt an Gefängnissen. Die Zellen des Königreichs sind bis zum allerletzten Platz belegt. So müssen verurteilte Straftäter zum Teil monatelang bis zur Zuweisung eines Zellenplatzes in Freiheit ausharren.

1200 Verurteilte warteten im Dezember darauf, ihre Gefängnisstrafe anzutreten. Auch vermeintlich gefährliche Personen müssen immer häufiger wegen Zellenmangels wieder freigelassen werden. So setzte die Polizei im Distrikt Helgeland einen Mann, der wegen eines Messerangriffs verhaftet wurde, nach wenigen Tagen entgegen richterlicher Anordnung auf freien Fuß. „Wir haben versucht, eine Zelle für ihn zu finden. Es gab keine in ganz Norwegen“, räumte Oberstaatsanwältin Kristin Elnaes ein.

Man müsse andernorts Zellen finden. Oft müssten Gefangene dann in weit entfernte Landesteile transportiert und zu den Verhandlungsterminen jedes Mal wieder zurücktransportiert werden. Das binde viel Justizpersonal, so Elnaes. „Personen nach ernsten Straftaten freilassen zu müssen untergräbt die Rechtssicherheit und die Strafverfolgung“, warnte sie.

Humaner, teurer Strafvollzug

Die Polizei fordert schon seit Jahren den Ausbau der Gefängniskapazitäten. Das Land schwimmt theoretisch durch seine Öleinnahmen in genug Geld, um sämtliche gesellschaftliche Probleme binnen kürzester Zeit zu beheben. Doch jährlich dürfen nur vier Prozent der Öleinnahmen für den Staatshaushalt ausgegeben werden. 96 Prozent des gigantischen Reichtums werden im Ausland angelegt.

Norwegen ist zudem für seinen sehr humanen – und dadurch teuren – Strafvollzug bekannt. Zumindest stramme Rechtskonservative bezeichnen die Gefängnisse verächtlich als Luxushotels, in denen sich Kriminelle etwa bei Musikworkshops in Bandproberäumen oder einem Malkurs im Gefängnisatelier selbst verwirklichen.

Justizminister Anders Anundsen wollte zuletzt sogar Gefängnisplätze in Schweden anmieten. In Stockholm wurde die Anfrage mit Verwunderung aufgenommen und zumindest vorläufig abgelehnt, weil dazu zahlreiche schwedische Gesetze geändert werden müssten. „Schweden würde dann norwegische Amtshandlungen ausüben oder norwegischen Behörden erlauben, in Schweden zu operieren. Das ist kompliziert“, so die schwedische Justizministerin, Beatrice Ask. Langfristig wolle sie aber eine stärkere Zusammenarbeit im Strafvollzug nicht ganz ausschließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2014)

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