Flug MH370: Neue Spuren vom Südrand der Welt

An officer aboard a Vietnamese military heli
An officer aboard a Vietnamese military heli(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
  • Drucken

Neue Satellitenfotos aus China deuten an, dass die Boeing aus Malaysia, die vor zwei Wochen verschwand, tatsächlich in den südlichen Indischen Ozean gestürzt ist.

Zwei Wochen nach dem Verschwinden der Boeing 777-200 der Malaysian Airlines eine Dreiviertelstunde nach dem Start von Kuala Lumpur Richtung Peking verdichteten sich am Samstag die Hinweise, dass just eines der von der Zivilisation vergessenen Seegebiete der Welt den 239 Insassen zum Grab geworden sein könnte: Chinas Regierung ließ Satellitenfotos verbreiten, auf denen ein scharf definiertes Objekt auf dem Wasser treibend zu erkennen ist. Es soll die Maße 22,5 mal 13 Meter haben und könnte ein Teil des Rumpfs der Boeing sein.

Das Objekt soll sich zum Aufnahmezeitpunkt etwa 2380 Kilometer südwestlich des westaustralischen Perth befunden haben – in einer Zone des Südlichen Indischen Ozeans, die als Roaring Forties (Brüllende Vierziger) bekannt ist. Das ist ein erdumspannendes, fast landloses Band zwischen 40. und 50. südlichem Breitengrad, wo fast ganzjährig heftige Winde, hohe Wellen und oft Schlechtwetter vorherrschen. Die Bilder stammen vom Aufklärungssatelliten Gaofen-1 (das bedeutet „hohe Auflösung“), der auf einer Umlaufbahn in 675km Höhe und in etwa zwischen den Polen um die Erde kreist und Kameras mit optischen Auflösungen von zwei bis acht Metern trägt.

Starke Strömung. Allerdings stammen die Fotos vom 18. März – seither müsste das Objekt, falls es nicht versunken ist, stark abgetrieben sein, laut Ozeanografen herrschen vor Ort Strömungen von mehr als 3,6km/h. Die chinesischen Aufnahmen bestärken jene von US-Satelliten, die am Donnerstag von Australien (es führt die Suchanstrengungen in dem Gebiet an) publiziert wurden: Sie zeigen nicht klar identifizierbare Objekte von 24 bzw. fünf Metern Größe, etwa 120km weiter südwestlich; die Bilder wurden indes bereits vorigen Sonntag aufgenommen, sie könnten auch Eisberge zeigen.

Wieso in einem kalten Meeresgebiet gesucht wird, das mehr als 5500km vom Ort des Verschwindens besagter Boeing am 8.März entfernt ist, soll kurz anhand der herrschenden Theorie erklärt werden. Der Jet, der um 0.41 Uhr in der Früh, es war Samstag, in Kuala Lumpur startete (s. Zeitleiste oben), flog nach Nordosten und verschwand um 1.30 Uhr zwischen Malaysia und Vietnam ganz von den zivilen Radars. Zuvor hörte das Signal des Transponders auf – das ist ein Gerät in Flugzeugen, das auf Radarwellen der Luftüberwachung antwortet und Flughöhe sowie Identifizierung des Flugzeugs übermittelt. Ohne Transponder wird ein Flugzeug, simpel gesagt, im zivilen Radar schon einmal schlechter „sichtbar“.

Zudem setzte das Acars (Aircraft Communications Addressing and Reporting System) vor 1.30 Uhr aus: Dieses sendet regelmäßig, etwa alle 30 Minuten, technische Zustandsdaten an die Zentrale der Fluglinie. Dieses Signal und das des Transponders fielen aber nicht aus, weil die Geräte defekt wurden oder das Flugzeug abstürzte: Jemand muss sie deaktiviert haben (das ist unüblich und teilweise sehr umständlich), denn Acars sendete noch bis 8.11 Uhr „Restsignale“, die nicht ohne großen Eingriff deaktivierbar sind. Diese Signale versuchten quasi, per Satellit mit der Zentrale Kontakt aufzunehmen, es kam aber keine Information durch. Dennoch will man daraus zwei wahrscheinliche Aufenthaltsräume des Jets errechnet haben: Einer führt in weitem Bogen über Thailand bis Kasachstan, der andere über Indonesien bis in den südlichen Indischen Ozean.


Tanz um die Radardaten. Im Übrigen hatte, wie Malaysia nach viel Hin und Her zugeben musste, dessen Militärradar sehr wohl bemerkt, wie die Boeing nach dem Verschwinden vom „sehschwächeren“ Zivilradar einen Westschwenk machte und über die Halbinsel Malaya und die Straße von Malakka flog, wo sie um 2.15 Uhr auch vom Militärradar verschwand. Überhaupt brachten die Ermittlungen zutage, wie heikel das Thema Luftraumüberwachung in der brenzligen Region Südostasien ist: Viele Länder zögern, ihre Daten herauszurücken – wegen militärischer Erwägungen. Thailand gab sich einen Ruck und sagte vor Tagen, man habe die Boeing über Malaya registriert – jetzt weiß die ganze Region, was die Thais denn so alles sehen können.

Derweil wird Perth bzw. die Luftwaffenbasis Pearce nördlich der Stadt zum Sammelpunkt der internationalen Suche: Bis Samstag waren mindestens vier australische Orion-Seeaufklärer, einer der Neuseeländer sowie eine ultramoderne Poseidon der US-Navy von dort aus im Einsatz. Zwei chinesische Iljuschin-Transporter kamen an, nachdem sie zuvor irrtümlich auf dem internationalen Flughafen von Perth gelandet waren, weitere Flugzeuge sind aus Japan, Indien, Südkorea und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterwegs.

Das engere Suchgebiet wurde für Samstag mit etwa 36.000 km2 angegeben, das ist die Fläche von Niederösterreich plus der Steiermark, aber auch nur ein Ausschnitt des ganzen Raums. Vor Ort waren zwei Frachtschiffe, darunter eines aus Norwegen. Die HMAS Success, ein australischer Flottenversorger, soll bis heute, Sonntag, eintreffen, in Kürze auch die HMS Echo, ein Vermessungsschiff der Royal Navy. Zum Vergleich: Vom etwa 2500km entfernten Perth ist ein Schiff bei einer annehmbaren Geschwindigkeit von umgerechnet 20 bis 25km/h vier bis fünf Tage ins Suchgebiet unterwegs. Dort war zuletzt immerhin das Wetter gut.

In der Boeing sind neben zwölf Crewmitgliedern aus Malaysia 229 Passagiere. 153 sind Chinesen, davon 24 Kalligrafiekünstler, von denen einer, Lou Baotang (79), eine berühmte Figur seines Fachs ist. Weitere Passagiere sind aus Malaysia (38), Indonesien (7), Australien (6), Indien (5), Frankreich (4), den USA (3), Neuseeland, Kanada, der Ukraine und dem Iran (je zwei), Russland, Taiwan und Holland (je einer).


Stuntman an Bord. Einer der Chinesen ist übrigens Stuntman Ju Kun (35), der Martial-Arts-Superstar Jet Li in dessen Filmen doubelt. Und Muktesh Mukherjee (42), ein in Kanada lebender Inder, hatte einen Großvater, der Minister war – und in den 1970ern bei einem Flugzeugabsturz umkam.

DiePresse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.