Studie: Globale Migrationsströme seit 1990 stabil

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Wiener Wissenschafter präsentieren in einer Studie überraschende Ergebnisse: Die Annahme, dass in einer globalisierten Welt die Migration zunimmt, stimme nicht. Im Gegenteil: Die globale Migration sei seit 1990 nahezu unverändert.

In einer globalisierten Welt nimmt auch die Migration zu - so die landläufige Annahme. Stimmt nicht, stellten nun Wiener Forscher in einer Studie fest. Demnach waren die globalen Migrationsströme zwischen 1990 und 2010 relativ stabil: Im Schnitt verlegten in den gemessenen 5-Jahres-Intervallen je rund 0,6 Prozent der Weltbevölkerung ihren Wohnsitz in ein anderes Land, berichten sie in "Science".

Globale Migration 2005-2010
Globale Migration 2005-2010(c) APA

Migrationsbewegungen sind auf globaler Ebene aufgrund der sehr unterschiedlichen Erfassungsmethoden in den einzelnen Ländern schwierig nachzuvollziehen. Die Wissenschafter des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital in Wien haben für ihre Untersuchung einen von den Vereinten Nationen herausgegebenen harmonisierten bilateralen Datensatz verwendet und auf dessen Basis eine neue Schätzmethode für die globalen Wanderungsbewegungen entwickelt.

Dabei wurde in 196 Ländern im Zeitraum 1990 bis 2010 in Fünf-Jahres-Abständen der Wohnort von Personen am Anfang einer Fünf-Jahres-Periode mit dem an deren Ende verglichen. "Dies ermöglichte erstmals eine direkt vergleichbare und reproduzierbare Abschätzung der globalen Migrationsströme", sagte Nikola Sander, die gemeinsam mit Guy Abel die Studie verfasst hat, im Gespräch mit der APA.

Globalisierung kaum Einfluss auf Migration

Demnach war die Zahl der weltweiten Migranten zwischen 1990-95 und 2005-2010 mit jeweils rund 41,5 Mio. Personen am höchsten im Beobachtungszeitraum und lag dazwischen bei 34,2 Mio. (1995-2000) bzw. 39,9 (2000-05). Gemessen an der Weltbevölkerung sank der Anteil der Migranten von 0,75 Prozent (1990-95) auf 0,61 Prozent (2005-10). Die hohe Zahl an Migranten am Beginn der 1990er Jahre führt Sander vor allem auf Konflikte in Afghanistan und Ruanda zurück, die viel Migration hervorgerufen hätten. "Solche Ereignisse haben offensichtlich mehr Einfluss auf Wanderungsbewegungen als derzeit die Globalisierung", sagte die Wissenschafterin.

In der Studie berichten die Wissenschafter von drei "Besonderheiten im globalen Migrationssystem", das sie mit Hilfe einer üblicherweise in der Genetik eingesetzten Software anschaulich visualisiert haben: So finden die starken Wanderungsbewegungen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara vorwiegend in der Region selbst statt. So haben etwa zwischen 2005 und 2010 rund 3,1 Mio. Personen in diesem Gebiet ihren Wohnsitz in ein anderes Land verlegt, aber nur 1,2 Mio. Personen sind von dort nach Europa ausgewandert.

Keine Migrationswelle von Afrika nach Europa

Den Hauptgrund dafür sehen die Forscher im relativ niedrigen Bildungsstandard und Einkommen der Menschen in diesen Ländern, die damit nur geringe Möglichkeiten hätten, über Kontinente hinweg umzuziehen. "Wenn keine große Bildungsexpansion in Afrika stattfinden wird, wofür wir derzeit keine Anzeichen sehen, ist eher nicht damit zu rechnen, dass es zu einer großen Migrationswelle von Afrika nach Europa kommen wird", sagte Sander. Nennenswerte Migrationsströme aus Afrika nach Europa stammten primär aus Nordafrika und führten vor allem nach Spanien und Italien.

Überraschend war für die Wissenschafter auch die starke Migration von Süd- nach Westasien. Bisher wurde meist die Wanderungsbewegung von Zentral- nach Nordamerika als stärkster Migrationsstrom angesehen - von 2005 bis 2010 betraf das immerhin 3,2 Mio. Menschen. Allerdings verlegten im selben Zeitraum 4,9 Mio. Personen ihren Wohnsitz von Süd- nach Westasien. "Ein großer Teil davon geht auf die Arbeitsmigration zurück, etwa von Pakistan, Indien und Bangladesh in die Golfstaaten", so Sander. Diesen geografisch stark fokussierten Migrationsströmen aus Zentralamerika und Südasien mit wenig Rückwanderung steht etwa in Europa mehr Binnenwanderung sowie eine eher ausgeglichene Ein- und Auswanderung gegenüber.

Schließlich verweisen die Wissenschafter auf "Long-Distance"-Bewegungen - vor allem in Richtung von Ländern mit höherem Einkommensniveau. "Das geht aber nicht unbedingt von den ärmsten zu den reichsten Ländern. Man kann sich das eher wie eine Treppe vorstellen, wo man nur ein paar Stufen hinaufkommt, aber nicht mit einem Schritt von ganz unten nach ganz oben", so Sander. Wenn man aber davon ausgehe, dass die Kosten der Migration proportional zur Distanz ansteigen, sei das Ausmaß der Migration zwischen den Kontinenten dennoch bemerkenswert.

Die stärkste bilaterale Migration zwischen 2005 und 2010 gab es mit 1,8 Mio. Personen zwischen Mexiko und den USA, gefolgt von Indien in die Vereinigten Arabischen Emirate (1,1 Mio.) und Bangladesh nach Indien (600.000). Jeweils rund 500.000 Personen übersiedelten zudem von China in die USA, von Bangladesh in die Vereinigten Arabischen Emirate, von Bangladesh nach Saudiarabien, von Indien in die USA und von Indonesien nach Malaysia.

Fasst man Zu- und Abwanderung zwischen 2005 und 2010 zusammen, sind die USA mit einem Plus von 5 Mio. Personen (2005-10) nach wie vor das Einwanderungsland Nummer eins, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (plus drei Mio.), Spanien (plus 2,2 Mio.) und Italien (plus zwei Mio.). Die Länder mit den größten Nettoverlusten sind Indien (minus 2,9 Mio.), Pakistan (minus zwei Mio.) und China (minus 1,8 Mio.). Österreich hat in dieser Berechnung bei 214.000 Einwanderern und 54.000 Auswanderern ein Plus von 160.000 Zuwanderern - Zahlen, die laut Sander aufgrund einer in der Statistik begründeten Definition von Migration nicht direkt mit den üblichen Bevölkerungsdaten etwa von Statistik Austria vergleichbar sind.

>> zur Studie www.global-migration.info

(APA)

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