Albtraum für schwedischen Patienten

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Ein Schwede lag nach einem Hirnschlag vorübergehend im Koma. Er hörte und sah aber, wie Ärzte die Angehörigen über seinen nahen Tod informierten und um seine Organe baten.

Stockholm. Für tot gehalten zu werden, es aber nicht zu sein – und das auch niemandem mitteilen zu können. Für den Schweden Jimi Fritze (40) wurde das Wirklichkeit. Mit seiner Freundin aß er in einem romantischen Inselrestaurant an der schwedischen Küste. Man trank Rotwein und redete über die Zukunft. Dann brach Fritze zusammen – wegen einer Gehirnblutung.

Er werde sterben, es gebe keine Hoffnung, sagten die Ärzte nach zwei Tagen der fast pausenlos an seinem Bett sitzenden Freundin. Aber Jimi könne andere Leben retten, sagte der Arzt. Er sei ja noch jung und habe Organe, die anderen Menschen ein Überleben ermöglichen könnten. Fritze lag bei diesem Gespräch scheinbar bewusstlos neben dem Arzt, der Freundin und seinen Angehörigen. Denen schien der Vorschlag einleuchtend. Sie willigten ein: Fritzes Organe sollten helfen, Leben zu retten. Er würde sie nicht ja mehr brauchen.

„Wir entschieden uns, seine Familie und Freunde, uns gemeinsam von Jimi zu verabschieden, bevor ihm die Organe entnommen werden würden. Er war jung und hatte ein gutes Herz“, so seine Schwester. Was aber niemand wusste: Jimi war total gelähmt, doch alert. Augen und Ohren funktionierten noch. Und was auch niemand wusste: Die Diagnose des diensthabenden Arztes war völlig falsch.

„Ich war in einem eingeschlossenen Zustand, Gefangener in meinem Körper, als sie über meinen Tod und meine Organe sprachen. Das Einzige, was funktionierte, war Sehen und Hören. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht reden.“

Eingesperrt und hilflos

„Ich hörte, was sie sagten, und versuchte ständig, Lebenszeichen von mir zu geben. Aber es ging nicht“, so Fritze im Gespräch mit Radio Schweden (SR).

Ein erfahrenerer Arzt, der am Tag zuvor aus dem Urlaub gekommen war und sich den Patienten noch einmal vornahm, rettete ihn. Er sah auf die CT-Aufnahmen und war verwundert über die Todesdiagnose. Jimi werde nicht sterben, konstatierte er gegenüber den überraschten Angehörigen. „Das war ein großes Trauma für meine Verwandten. Erst zu entscheiden, ob meine Organe weggegeben werden sollen, und von mir Abschied zu nehmen. Und dann kommt ein völlig gegenteiliger Bescheid.“

Das Ganze ereignete sich im Sommer 2013 ereignet. Nach dem Schock und zahlreichen Reha-Maßnahmen entschied sich Fritze nun, das Göteborger Krankenhaus, in dem er lag, zu klagen und die Geschichte öffentlich zu machen. „Ich will andere warnen“, sagte er zur „Presse“. „Ich glaube nicht, dass ich der Einzige bin, dem das passiert ist.“

Beim medizinethischen Rat Schwedens will man sich nicht zu Einzelfällen wie dem von Jimi Fritze äußern. Grundsätzlich, so räumte das Gremium jedoch ein, hätten sich die Ärzte anscheinend nicht an „gängige Routinen“ gehalten. „Man darf nicht nach Organspenden fragen, bis der Patient hirntot ist“, stellte Vorsitzender Kjell Asplund fest. Und Fritze war nicht hirntot. Im Gegenteil. Einige Tage später ließen die Lähmungen nach. Er erwachte. Heute ist er körperlich behindert und wird von Pflegekräften betreut. Aber er lebt. Und darüber ist er froh.

In der Praxis ist vieles anders

Beim Organspenderverband befürchtet man indes, dass solche doch außergewöhnlichen Skandalgeschichten dazu führen könnten, dass weniger Schweden Organe spenden wollen. Der Verband zeigte sich verständnisvoller für die verantwortlichen Ärzte: In der Praxis komme eine Diskussion zur Organspende durchaus auch vor dem Hirntod vor, wenn sich abzeichne, dass der Patient nicht überlebe, hieß es. Die Spende sei ein schwieriger Beschluss für Angehörige, noch dazu gebe es wenig Bedenkzeit. Das Vorgehen der Ärzte sei also halbwegs nachvollziehbar.

In Schweden kommen jährlich 15,5 Organspender auf eine Million Einwohner. In Norwegen sind es 24,5. Am besten schneidet Spanien ab – mit 35,3 pro einer Million.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2014)

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