Prostitution in China: Die harte Hand der KP

Prostitution in China: Die harte Hand der KP
Prostitution in China: Die harte Hand der KP (c) REUTERS (STRINGER/CHINA)
  • Drucken

Prostitution ist in China offiziell verboten. Doch ein laxer Umgang führte dazu, dass sich die Stadt Dongguan zu einer der größten Sexhochburgen der Welt entwickeln konnte. Jetzt hat die KP das "Problem" gelöst.

Er nennt sich Xiaogui – übersetzt kleiner Teufel. Argwöhnisch blickt er auf, als eine Gruppe junger Männer das Grundstück des Hotels betreten will. Xiaogui geht in Alarmstellung. Mit der einen Hand drückt er auf den automatischen Fahrzeugschlüssel. Sein schwarzer Minibus neben ihm blinkt auf. Mit der anderen Hand gibt der 30-Jährige seinen beiden Kumpanen Zeichen. Sie sollen sich bereit zur Flucht machen. Doch dazu kommt es nicht. Einer der Passanten fragt lediglich nach dem Weg zur nächsten öffentlichen Toilette. „Wir sind halt alle sehr nervös“, sagt Xiaogui später. Es hätte sich ja auch um die nächste Razzia handeln können.

Xiaogui und seine beiden Kumpanen sind Wachmänner, seine Freundin Verwaltungsangestellte des Hotels Versailles. Die mit barocken Elementen überfrachtete Fassade des in Altrosa gehaltenen Prachtbaus ist einem Kastell nachempfunden, das auch in der Bourgogne stehen könnte. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Stundenhotel inmitten eines heruntergekommenen Viertels in der südchinesischen Stadt Dongguan. Das Eingangstor, umrahmt von griechischen Säulen und Steinlöwen, ist mit einem eisernen Bügelschloss verriegelt. Die Gardinen der großen Fenster sind zugezogen, das komplette Anwesen ist verlassen. Xiaogui und seine kleine Truppe sind die Einzigen, die sich noch auf dem Gelände aufhalten. Sie sollen das Hotel vor Plünderern schützen.

Prostituierte und Freier abgeführt. Es war an einem Sonntagabend Anfang Februar. Das chinesische Staatsfernsehen hatte zur Hauptsendezeit eine Fernsehreportage ausgestrahlt. Der CCTV-Bericht handelte von der Sexindustrie in Dongguan. „Nur wenige Stunden später standen die Polizeieinheiten bereits vor der Tür“, erinnert sich Xiaogui. Es seien zwei Dutzend gewesen. Sie stürmten in die Hotelzimmer. Es gab Geschrei, die völlig verschreckten Prostituierten wurden teils mit Gewalt in den einen Flügel des Hotels getrieben. Die halb bekleideten Freier in den anderen. Den Eigentümer des Hotels führten sie mit Händen über dem Kopf ab.

„Wir wussten sehr schnell, dass wir nicht die einzigen Betroffenen waren“, erzählt Xiaogui. Auf der gesamten Straßen standen Polizeiautos und aus allen Richtungen war Geschrei zu hören. Die offizielle Bilanz am späten Abend: Mehr als 6500 Polizisten durchsuchten insgesamt 2000 Bordelle, Stundenhotels, Saunas und Karaoke-Bars. Sie nahmen mehr als tausend Menschen fest, darunter die meisten Betreiber der Einrichtungen, unzählige Freier und Prostituierte. Fernsehbilder am nächsten Morgen zeigten Hunderte von leicht bekleideten Frauen, in einer Halle zusammengepfercht. Einige von ihnen hatten Blut im Gesicht.

Der Nachrichtensprecher berichtet von der größten Razzia gegen das Rotlichtmilieu seit Gründung der Volksrepublik. Unter den Festgenommen seien auch zwei örtliche Polizeichefs und mehrere Parteisekretäre. Ihnen wird vorgeworfen, gegen das Prostitutionsgewerbe all die Jahre zu nachlässig vorgegangen zu sein. Sie sollen von den Bordellbetreibern sogar geschmiert worden sein. In der ersten Wochen kamen die Polizisten bis zu sechsmal am Tag, berichtet Xiaogui. Die Anti-Rotlicht-Kampagne hält bis heute an.

Dongguan ist eine Achtmillionenstadt vor den Toren Hongkongs inmitten des Perflussdeltas in Südchina. Die Stadt ist eigentlich Veränderungen gewohnt. Vor fünf Jahren musste sich die Industriemetropole schon einmal komplett neu erfinden. Anfang 2009 schlug die von den USA ausgehende Weltfinanzkrise auch in China voll zu. Die Ausfuhren brachen ein, zehntausende Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter fanden keine Anstellung mehr. Das Perlflussdelta, wegen seiner vielen Fabriken in den Jahre zuvor bekannt als „Werkbank der Welt“, war besonders betroffen. Galt Dongguan zwischen 2003 und 2006 mit fast 20 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr zu einer der prosperierendsten Städte Chinas überhaupt, drohte der gesamten Region der wirtschaftliche Absturz.

Die Stadtoberen schafften schnell Abhilfe. Prostitution ist in China offiziell zwar verboten. Doch schon seit vielen Jahren nehmen es die Behörden mit den Vorschriften nicht so genau. Auch in der Hauptstadt Peking finden sich Bordelle, Sexshops und Massagesalons, die besonderen Zusatzservice bieten.

Dongguan war auch schon vor 2009 bekannt für das Rotlichtgewerbe. Um die vielen verloren gegangenen Arbeitsplätze in den Fabriken zu kompensieren, legten die Parteisekretäre von Dongguan die Prostitutionsvorschriften noch einmal ganz besonders lax aus. Zwar gibt es keine genauen Zahlen. Doch Experten vermuten, dass die Stadt in den Jahren 2010 und 2011 mehr als 300.000 Prostituierte zählte. Einer von zehn Einwanderern in Dongguan arbeitete im Rotlichtmillieu.

„Sie sind nun alle weg“, sagt Xiaogui. Wohin? Das wisse er auch nicht. In der in Hongkong erscheinenden Zeitung „South China Morning Post“ berichtet eine Frau aus dem Gewerbe, dass die Prostituierte in Scharen Dongguan verlassen hätten. Einige hätten sich in den Nachtklubs der Nachbarstädte Foshan und Huizhou um ein neues Auskommen bemüht. Sie berichteten jedoch von sehr viel raueren Umgangsformen ihrer Kunden bis hin zu gewalttätigen Übergriffen. In Dongguan hatten sich Frauen und Freier eine Infrastruktur aufgebaut, die sie vor Gewalt schützte. Die gebe es nun in den anderen Städten nicht.

Weine nicht, Dongguan! Politische Beobachter vermuten hinter dem Bericht des chinesischen Staatsfernsehens eine gesteuerte Kampagne, die sich allgemein gegen den liberaleren Geist in Südchina richtet. Guangdong ist mit dem Perlflussdelta die wirtschaftlich wohlhabendste Provinz in China. Die Hauptstadt Peking ist weit, vieles entzieht sich ihrem Einfluss. Nun wolle die Zentralregierung die Kontrolle wieder an sich reißen.

Viele Menschen im Internet reagieren mit Spott und Ärger auf das rabiate Vorgehen der Behörden. Sie bezichtigten den Staatssender der Heuchelei, weil er verdeckte Reporter losgeschickt hat, um über eine Szene zu berichten, die für jeden Besucher der Stadt kein Geheimnis sei.

„Weine nicht, Dongguan! CCTV ist skrupellos, aber die Welt ist voller Liebe“, lautet ein weit verbreiteter Eintrag auf dem Kurzbotschaftendienst Sina Weibo. „Statt Huren an den Pranger zu stellen, sollte die Regierung die Hintergründe durchleuchten“, fordert ein Blogger. Viele Internetnutzer haben rote Kerzen in Form von Kondomen ins Netz gestellt, um ihre Solidarität mit den Sexarbeiterinnen zu zeigen.


Herbe Verluste für Hotelbusiness. In Dongguan zeigen sich nun die wirtschaftlichen Folgen. Laut der „Yangcheng Evening Post“ ist der gesamte Dienstleistungssektor in der Stadt zusammengebrochen. Die Razzien sollen Umsatzverluste von rund 50 Milliarden Yuan verursacht haben, rund sechs Milliarden Euro. Auch Geschäfte, Schönheitssalons, Lokale, Taxis und Supermärkte klagen über heftige Einbußen.

Besonders betroffen sind Luxushotels. Die insgesamt 23 Fünfsternehotels mussten nach dem Wirtschaftseinbruch von 2009 schon einmal herbe Verluste hinnehmen, nachdem zehntausende Geschäftsleute aus aller Welt ausblieben. Ihre Auslastung sank damals auf unter 60 Prozent. Die Umsatzeinbußen konnten sie nur kompensieren, weil wohlhabende Männer aus Japan, Südkorea, Malaysia und dem nahegelegenen Hongkong nach Dongguan kamen und die Zimmer für Sexdienstleistungen nutzten. Dieses Geschäft liegt nun seit Februar brach.

Kenner der Region gehen davon aus, dass die Behörden die Rotlicht-Kampagne schon bald beenden werden. Im vergangenen Jahr habe die Region das von der Zentralregierung landesweit vorgegebene Wachstumsziel von 7,5 Prozent unterschritten und lag bei nur noch bei etwas mehr als sechs Prozent, sagt der in Dongguan beheimatete Unternehmer und landesweit bekannte Blogger Xiao Gongjun. Das sei zu wenig für eine Region, die sich mitten im Strukturwandel befindet.

Auch der Wachmann Xiaogui ist zuversichtlich: „Das Gewerbe ist nicht tot“, sagt er. In Dongguan werde es vielleicht nicht mehr ganz so florieren wie vor der Großrazzia. Doch er ist sich sicher: „Rotlicht stirbt nicht aus – auch nicht in China.“

Dongguan

Die acht Millionen Einwohnerzählende Stadt am Perlflussdelta wurde von der Finanzkrise gebeutelt. Die in der Region verbreitete Leichtindustrie verzeichnete hohe Einbußen.

Lokale KP-Funktionäre legten daraufhin die Vorschriften für Prostitution besonders locker aus – mit dem Ergebnis, dass zahlreiche Arbeitsplätze in der Sexindustrie geschaffen wurden.

Fakten

300.000

Prostituierte haben sich nach Angaben von Experten in den Jahren 2010 und 2011 in der südchinesischen Stadt Dongguan aufgehalten. Dongguan zählt rund acht Millionen Einwohner. Die Stadt war bis vor Kurzem in China und über die Staatsgrenzen hinaus als Metropole für Sex-Dienstleistungen bekannt.

50Milliarden Yuan, umgerechnet sechs Milliarden Euro, dürften die Umsatzverluste ausmachen, nachdem die Polizei in einer Riesenrazzia Dutzende Bordelle und Hotels stürmen ließ. Die Prostituierten haben sich indes in Nachbarstädten angesiedelt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.