Fährunglück: Suche nach hunderten Vermissten

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Eine Fähre mit 459 Menschen an Bord, darunter zahlreiche Schüler, sank vor der südkoreanischen Küste. Nur wenige konnten sich retten. Unklar sind die Ursachen des Unglücks.

Tokio/Seoul. 459 Menschen befanden sich an Bord der südkoreanischen Fähre Sewol, darunter etliche Schüler, als das Boot Mittwochvormittag vor der Südwestküste Südkoreas in Seenot geriet, zur Seite kippte und sank. Mehr als 290 Passagiere werden noch vermisst. Die Küstenwache befürchtet, dass zahlreiche Passagiere und Besatzungsmitglieder im Innern der Sewol eingeschlossen wurden.

Bis zum Anbruch der Dunkelheit wurden 164 Passagiere gerettet, vier Personen – ein Crewmitglied und drei bisher nicht identifizierte Personen – konnten nur noch tot geborgen werden.

„Fähre schwankte und kippte“

Die Sewol war auf dem Weg von der Hafenstadt Incheon nahe Seoul zur südkoreanischen Hochzeits- und Ferieninsel Cheju. Nach Angaben der Küstenwache befand sich das offenbar nicht überladene Schiff zum Zeitpunkt des Unglücks 20 Kilometer von der Küste des kleinen Eilandes Byungpoong entfernt, als Passagiere ein „stark pochendes Geräusch hörten“. Experten glauben, dass die 68.000 Tonnen schwere, 1994 in Japan gebaute Fähre in dichtem Nebel auf einen Fels gelaufen ist. Der Kapitän setzte einen Notruf ab und leitete die Vollbremsung ein. Das 146 lange und 22 Meter breite Schiff kenterte schnell in aussichtslose Seitenlage und sank innerhalb von zwei Stunden fast vollständig auf 30 Meter unter dem Meeresspiegel.

Laut Augenzeugen lief das Unglück in rasantem Tempo ab. „Die Fähre schwankte und kippte, wir sind alle gestolpert und haben uns gegenseitig gestoßen“, berichtete ein überlebender Jugendlicher. Nach seinem Sprung von Bord sei er vom eiskalten Wasser geschockt gewesen. „Ich bin so schnell geschwommen wie ich konnte und habe nur gedacht: Ich will überleben.“ Andere Überlebende berichten: „Das Boot geriet in Schieflage, wir mussten uns an irgendetwas festklammern, um wenigstens sitzen bleiben zu können.“ Wegen des schlechten Wetters und der miserablen Sicht war die Sewol bereits verspätet ausgelaufen. Nach Angaben der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap befanden sich auch 325 Schüler eines Gymnasiums an Bord, die vier unbeschwerte Ferientage auf der subtropischen Insel Cheju verbringen wollten.

Große Verwirrung herrschte zunächst über die Zahl der Geretteten und Vermissten. Der Vizeminister für Sicherheit und öffentliche Verwaltung Südkoreas, Gyeong Og, hatte ursprünglich in Seoul vor Journalisten erklärt, es seien 368 Menschen gerettet worden. Dem widersprach der Sprecher der Küstenwache: „Wir haben keine Ahnung, woher diese Zahl stammt.“

Yonhap vermutet, dass der amtliche Optimismus von der Hoffnung getragen war, dass sich viele Passagiere vor ihrem Sprung in das rund zwölf Grad kalte Meer mit Rettungswesten ausrüsten konnten. Zudem kreuzten im Unglücksgebiet zahlreiche private Fischerboote, die Schiffsbrüchige hätten aufnehmen können. Die Rettung hätte aber wegen des hohen Wellengangs und der starken Strömung extrem schnell erfolgen müssen. Erste Rettungskräfte waren laut Medienberichten bereits 30 Minuten nach dem Notruf am Unglücksort – ohne Erfolg. „Wir haben im Umkreis von fünf Kilometern nach Überlebenden gesucht, dabei aber zunächst niemanden gefunden“, zitiert „Korea Herald“ ein Mitglied der Küstenwache.

„Uns läuft die Zeit davon“

An der Rettungsaktion sind rund 40 Schiffe beteiligt – sowohl von Marine und Küstenwache als auch zivile Handelsschiffe. Auch das in Südkorea stationierte US-Militär entsandte ein Kampflandeschiff mit zwei Helikoptern. Außerdem sind 18 südkoreanische Hubschrauber im Einsatz. 200 Kampfschwimmer und Taucher suchen den an dieser Stelle bis zu 45 Meter tiefen Meeresgrund ab.

Die Seouler TV-Stationen sendeten gestern Abend pausenlos Bilder der Rettungsaktion, obwohl die Dunkelheit längst angebrochen war. Zu sehen waren durchnässte und in Handtücher gewickelte Schüler sowie in Decken eingehüllte Überlebende. Hubschrauber transportierten sie zu einem nahegelegenen Hafen. Die Behörden sprachen von einer „Megakatastrophe“. Staatspräsidentin Park Geun Hye eilte in die Seouler Katastrophenzentrale. „Uns läuft die Zeit davon, bitte findet wenigstens noch einen Überlebenden.“

Es wird befürchtet, dass weit mehr Personen als erwartet im Rumpf eingeschlossen sind. Dort befanden sich Restaurants, Shops und Spiel- sowie Unterhaltungszonen. Kampfschwimmern ist es jedoch bisher nicht gelungen, in diesen Räumen Überlebende oder Tote zu finden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2014)

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