Fährunglück: Präsidentin wirft Kapitän Mord vor

A family member (4th L) of a missing passenger on the South Korean ferry Sewol which sank in the sea off Jindo, escorted by a nun (3rd L), cries as she looks at the sea, at a port where family members of missing passengers gathered in Jindo
A family member (4th L) of a missing passenger on the South Korean ferry Sewol which sank in the sea off Jindo, escorted by a nun (3rd L), cries as she looks at the sea, at a port where family members of missing passengers gathered in Jindo(c) REUTERS (ISSEI KATO)
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Immer mehr haarsträubende Details über die Unfähigkeit der Crew kommen ans Tageslicht. Es werden mehr als 300 Tote befürchtet, Südkoreas Staatschefin attackiert den Kapitän.

Tokio/Seoul. Während immer mehr Leichen aus der vergangenen Mittwoch havarierten südkoreanischen Fähre geborgen werden, lässt Staatspräsidentin Park Geun Hye ihrer Wut freien Lauf und nannte den Kapitän des Unglücksschiffs, das 476 Menschen an Bord hatte, einen Mörder. Bei einem Treffen mit Beratern sagte Park wörtlich: „Die Taten des Kapitäns und einiger Crewmitglieder waren völlig unverständlich, inakzeptabel und kamen Mord gleich.“ Es werde zunehmend klar, dass Kapitän Lee Joon Seok die Evakuierung der sinkenden Fähre Sewol unnötig verzögert und dann die Passagiere „in Stich gelassen“ habe, als er als einer der Ersten von Bord ging.

Präsidentin Park kündigte an, dass das Verhalten aller Beteiligten– von den Schiffseignern bis hin zu jedem einzelnen Besatzungsmitglied – mit äußerster Strenge untersucht werde und dass die Verantwortlichen vor Gericht gebracht würden. Neben dem bereits verhafteten Kapitän und der dritten Offizierin, die zum Zeitpunkt der Katastrophe das Kommando hatte, wurden nun drei weitere Offiziere und der Chefmechaniker in Gewahrsam genommen.

Wertvolle Zeit vergeudet

Trotz stürmischer See ging die Bergung der Toten am Montag weiter: Es wurden noch rund 240 Passagiere vermisst, die meisten Jugendliche, die auf einem Schulausflug waren. Bestätigt waren am Montag 64 Todesopfer. Da es so gut wie keine Chance mehr auf Überlebende gab, muss mit mehr als 300 Toten gerechnet werden. Neben Tauchern werden auch ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge eingesetzt, um den trauernden Angehörigen, die im Hafen Jindo ausharren, so bald es geht, Gewissheit zu geben.

Derweil kommen unglaubliche Details über das Chaos auf der Kommandobrücke, aber auch über das Unvermögen der Verantwortlichen in der Leitzentrale ans Licht. Die Aufzeichnungen des Funkverkehrs zwischen der Sewol und der örtlichen Meeresaufsicht beweisen, dass die Evakuierung verweigert wurde, obwohl sich die Fähre bereits gefährlich auf die Seite legte. „Wir neigen uns, wir sind kurz davor unterzugehen“, meldete ein Besatzungsmitglied und sagte, dass keine Sicherheitsanweisungen an die Passagiere ausgegeben werden könnten, da die Lautsprecher nicht funktionierten. Die Behörde wies die Besatzung an, die Fahrgäste direkt anzuweisen, Rettungswesten anzuziehen. Da die Besatzung zögerte, erging die Anweisung: „Gehen Sie an Deck und lassen Sie die Leute wenigstens einen Rettungsring tragen, sofort!“ Patrouillenboote seien binnen zehn Minuten zur Stelle. Vergeblich.

Die Aufzeichnungen bestätigen die bisher fast unglaubwürdigen Aussagen des Kapitäns, er habe keine Evakuierung angeordnet, weil er die Strömung für zu gefährlich einschätzte. Damit wurde wertvolle Rettungszeit vergeudet. Die Passagiere wurden sogar aufgefordert, unter Deck zu bleiben. Laut Medienberichten verschwieg die Leitzentrale für den lokalen Schiffsverkehr aus bisher ungeklärten Gründen allerdings auch die vermutlich lebensrettende Information, dass sich ganz in der Nähe der Sewol ein Schiff befand, dass alle Passagiere sehr schnell hätte aufnehmen können.

Die Veröffentlichung dieser Chaoskonversationen steigert die Wut der Angehörigen ins Unermessliche. Sie harren seit Tagen 30Kilometer von dem Wrack entfernt in einer Turnhalle aus, die laut Augenzeugenberichten einem Flüchtlingslager gleicht. „Es gibt keine schlimmere Hölle als diese“, zitiert der US-Nachrichtensender CNN einen Angehörigen. Die nationalen Medien kommentieren das mit Hohn und Grimm. Das Massenblatt „Chosun Ilbo“ schreibt: „Korea mag fortschrittlich beim Bau von Schiffen, Mobiltelefonen und Autos sein, aber es steckt noch im finsteren Mittelalter, was die öffentliche Sicherheit angeht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2014)

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