Kanada: Leben wie im Jahr 1986

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Eine Familie verbrachte zwölf Monate lang wie im Jahr ihrer Geburt – ohne Smartphone, Google, Facebook und Flachbildschirm. Nun kehrt sie langsam in die Gegenwart zurück.

Ottawa. Die Kisten werden aus dem Keller geholt. Ein Fernsehgerät wird ausgepackt, ein Handy, ein Computer. Ein Jahr lang hatte die Familie McMillan-Patey in Guelph westlich von Toronto auf all diese Geräte verzichtet, die heute den Alltag und die Kommunikation prägen, und sie in den Keller verbannt. Sie lebte technologisch im Jahr 1986. Nun kehrt sie langsam in die Gegenwart zurück.
„Wir sind nicht antitechnologisch eingestellt“, sagt der 26-jährige Blair McMillan, „aber wir wollten unseren Kindern die Möglichkeit geben, zu erfahren, wie wir in unserer Kindheit lebten.“ McMillan wurde ebenso wie seine Partnerin Morgan Patey 1986 geboren. Es war das Jahr, in dem das Space Shuttle Challenger explodierte und dabei sieben Astronauten getötet wurden, außerdem das Jahr des Super-GAUs in Tschernobyl. Es war aber auch ein Zeitalter, das für die heute ganz Jungen fast steinzeitlich klingt – ohne Internet, E-Mail, Smartphone, Textmessages und TV mit hunderten Kanälen. Das Projekt wird die Familie aber nicht fortsetzen: „Es war interessant, aber wenn man ins Arbeitsleben zurückkehren will, braucht man eigentlich Zugang zum Internet.“

Schnurrbart im alten Stil


Auslöser für das Projekt war die Erfahrung, dass der fünfjährige Sohn Trey auf die Frage, ob er draußen spielen wolle, antwortete: „Nein, ich will auf meinem iPad spielen.“ Als McMillian dann auch noch Ratschläge von Medizinern hörte, Kinder sollten 30 Minuten an der frischen Luft aktiv sein, begann das Grübeln. „Ich dachte daran, dass meine Eltern eher das Problem hatten, dass ich eine halbe Stunde still sitze“, erzählt McMillian und streicht über seinen buschigen Schnurrbart im Stil der 1980er-Jahre, der ebenso wie seine Koteletten ordentlich gewachsen ist.

Vor einem Jahr zog die Familie auch in ein Haus, das 1987 gebaut wurde und dessen Inneneinrichtung dem Stil jener Zeit entsprach. McMillian, der bei einem Versicherungsunternehmen arbeitete, ließ sich beurlauben, um ganz Familienvater zu sein, während seine Partnerin ihren Job bei einem Pharmaunternehmen behielt. „Trey war zunächst gar nicht begeistert, denn er spielte gerne mit Morgans iPad“, erzählt McMillan. Aber die Familie, zu der noch der zweijährige Denton gehört, gewöhnte sich an das neue Leben. Sie fand ein altes Fernsehgerät, das noch nicht für das Kabelfernsehen gebaut war: „Wir benutzten das Fernsehgerät nur, um Videos anzusehen.“ Statt des Handys kam ein Telefon mit Wählscheibe und Schnur ins Haus – ohne Anrufbeantworter. Puzzles wurden gekauft, Bausätze für Züge und viele andere Spielsachen. Wenn beim Essen oder Spielen Fragen aufkamen, dann wurde nicht gegoogelt, sondern zur Enzyklopädie gegriffen.

Handyverbot für Besucher


„Unsere Freunde fanden es ganz toll, was wir machen. Das sei gut für die Kinder, hörten wir. Aber niemand ist uns gefolgt“, sagt McMillan rückblickend. Zu den enttäuschenden Erfahrungen gehört, dass die Kontakte mit manchen Freunden nachließen. Wer nicht textet oder auf Facebook präsent ist, ist von Informationen abgeschnitten. Einige seien gar nicht auf die Idee gekommen, sie anzurufen, sagt Patey. Selbst, wenn Freunde Nachwuchs bekamen, erfuhren sie es viel später. „Es ist etwas beängstigend, wie Kommunikation läuft.“ Auch für Kinder bestehe Kommunikation oft darin, dass man einander Nachrichten sendet anstatt sich zu treffen und miteinander zu reden.

An der Eingangstür ihres Hauses war ein Kasten angebracht, in dem Besucher ihre Handys, iPhones und iPads abgelegen konnten. Für manche war es wohl zu viel, für ein paar Stunden auf ihre Geräte zu verzichten. „Aber wir hatten ein sehr schönes Thanksgiving-Fest mit Freunden und Familie“, erzählt McMillan. Noch weiß er nicht genau, wie es beruflich mit ihm weitergeht. Möglicherweise wird er als Berater tätig sein: „Vielleicht wollen andere Familien ja Hinweise und Hilfe, wie sie die richtige Balance zwischen der Nutzung der modernen Technologie und dem Familienleben finden.“

Zunächst aber werden einige der modernen Dinge, auf die die Familie ein Jahr verzichtete, wieder aktiviert – „aber in Maßen“. Ein Handy statt drei, vielleicht der Computer mit Internet. Und: „Das Fernsehgerät muss sein“, sagt McMillian, „schließlich sind jetzt die Play-off-Spiele der NHL.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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