Brasilien: Gespenstische Szenen in Rio de Janeiro

Rio de Janeiro
Rio de Janeiro(c) imago/Xinhua (imago stock&people)
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Nach einem Polizeieinsatz kam es in Rio in einem Armenviertel zu schweren Unruhen. Kurz vor der Fußball-WM hat Brasilien das Drogenproblem nicht unter Kontrolle.

Buenos Aires/Rio de Janeiro. Zwischen dem Chaos und der Copacabana liegen nur zwei Straßenblocks. Pavão-Pavãozinho heißt jene Favela nahe dem viel besungenen Sandstrand, die am Dienstagabend zum Schauplatz kriegsähnlicher Zustände wurde. Unweit von Apartmentblocks, deren Quadratmeterpreise erheblich höher als in der Wiener Innenstadt sind, wurden Barrikaden in Brand gesetzt und weite Teile der luxuriösen Südzone von Rio de Janeiro lahmgelegt. Am Eingang zu dem Slum gingen öffentliche Busse in Flammen auf, ehe Eliteeinheiten der Polizei anrückten und unter erheblichem Einsatz von Schusswaffen gegen die Bewohner vorgingen. Dabei kam nach Angaben des städtischen Gesundheitsamts ein 30-jähriger Mann durch einen Kopfschuss ums Leben, Brasiliens Medien berichteten zudem vom Tod eines zwölfjährigen Buben, der jedoch bislang nicht offiziell bestätigt wurde.

Gespenstische Szenerie

Während über dem Armenviertel Polizeihubschrauber knatterten, drehte der Energieversorger in dem Viertel den Strom ab. Einzige Lichtquellen blieben die Feuer der Barrikaden. Eine gespenstische Szenerie in just jener Stadt, die in sechs Wochen zum Herzen der Fußballweltmeisterschaft werden soll. Von hier aus werden tausende Journalisten aus aller Welt ihre Berichte über die im ganzen Riesenland abgehaltenen Spiele verfassen und editieren. Doch wie es aussieht, werden sie noch weitaus mehr Stoff bekommen als rollende Bälle.

Brasilien – das wird von Tag zu Tag deutlicher – hat massive Schwierigkeiten mit den Vorbereitungen zu dem Megaevent. Immer noch wird an mehreren Stadien gebaut, selbst die Arena São Paulo, in der die Gastgeber am 12.Juni zum Eröffnungsspiel Kroatien empfangen sollen, ist immer noch nicht vollendet. Jérôme Valcke, der Generalsekretär des Weltfußballverbands Fifa, hat versprochen, dass die Spielstätte gerade noch rechtzeitig fertig werden soll, „im letzten Moment“. Ähnlich ungewiss ist der Zustand der Infrastruktur. Werden Flughäfen, Straßen und Datennetze den Ansturm von Touristen und Berichterstattern verkraften? Sicher ist, dass es vor allem in Rio de Janeiro massive Probleme mit der Unterbringung der Besucher geben wird, nachdem die Fifa nicht weniger als 90 Prozent aller verfügbaren Hotelbetten blockiert hat. So ergab es sich, dass selbst in den Favelas Hostels und sogar Hotels eröffneten, teilweise mit atemberaubendem Panoramablick über die Strände von Copacabana, Ipanema und Leblon.

Die Befriedung der Favelas ist eine jener Geschichten, die Rios Behörden am liebsten ausländischen Besuchern erzählen, doch ausgerechnet kurz vor der WM werden auch diese vermeintlichen Lichtblicke von der Realität verdunkelt.

Mehr als 30 „befreite“ Favelas

Seit 2008 versuchen die Behörden in den Armenvierteln, die Kontrolle zu übernehmen, die ihnen seit Jahrzehnten entglitten ist. Nach der Besetzung durch Spezialeinheiten der Militärpolizei wurden in den mehr als 30„befreiten“ Favelas Posten einer neu geschaffenen „Befriedungspolizei“ installiert, die näher als die traditionellen Ordnungskräfte an den Bedürfnissen der Bewohner sein sollte. Zunächst sah es so aus, als habe die Strategie Erfolg, Elendsquartiere wie etwa die nahe der südlichen Traumstrände gelegene Rocinha wurden gar zum Touristenmagnet mit Bars, Restaurants und Hotels.

Tödliche Verwechslung

Doch mit der Zeit kehrten die vor den Besetzungen abgezogenen Drogenhändler zurück, und damit auch die altbekannten Polizeimethoden. Dass das keine gute Nachricht ist, lässt sich in Statistiken der Nichtregierungsorganisation Rio de Paz ablesen, die seit 2007 allein im Bundesstaat Rio de Janeiro 5677 Todesopfer von Polizeiinterventionen zählt. Insgesamt kamen die Datensammler auf 43.165Gewaltopfer, 38.000 verschwundene Personen und 31.000 Mordversuche.

Auch die jüngste Rebellion von Pavão-Pavãozinho brach aus, nachdem ein 25-jähriger Bewohner erschlagen aufgefunden wurde. Der junge Mann, der es geschafft hat, einen Job als Tänzer im TV-Kanal Globe zu bekommen, sei angeblich von Polizisten mit einem Drogenhändler verwechselt und während des Verhörs erschlagen worden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2014)

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