Der angekündigte Genozid im Osten Afrikas

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Die internationale Gemeinschaft wollte die Warnsignale nicht sehen. Doch als 1994 Ruandas Präsident Habyarimana getötet wurde, setzten die Hutu-Extremisten ihre Pläne in die Tat um.

Erschossen, verbrannt, mit Macheten getötet – die Texte neben den Fotos der Kinder schildern, welch Schrecken über Hunderttausende hereingebrochen ist. Im Genozid-Museum in Ruandas Hauptstadt Kigali sind Geschichten vieler Opfer zusammengetragen worden. Auf dem Gelände der Gedenkstätte ruhen die Gebeine von etwa 260.000 Menschen, die 1994 ermordet wurden, nur weil sie der Volksgruppe der Tutsi angehörten. Insgesamt wurden damals 900.000 Personen umgebracht – vor allem Tutsi, aber auch Hutu, die von den Hutu-Milizen als Verräter gesehen wurden.

Der Genozid in Ruanda, der vor den Augen der internationalen Gemeinschaft verübt wurde, gehört zu den schlimmsten Massenverbrechen seit dem Zweiten Weltkrieg. Und das Massaker hatte sich angekündigt. Schon Anfang der Neunzigerjahre warnten europäische Diplomaten in Ruanda vor Plänen extremistischer Hutu-Milizen, die Tutsi auszulöschen. Die im Land stationierten UN-Truppen meldeten nur Wochen vor dem Völkermord nach New York, dass sie bei Kontrollen vermehrt auf geheime Waffenlager gestoßen waren. Doch die Warnungen hatten keine Konsequenzen.

Teile und herrsche

Der Konflikt im ostafrikanischen Ruanda hat seine Wurzeln in der Kolonialzeit. Nach der Strategie „Teile und herrsche“ besetzten erst die deutschen und dann die belgischen Kolonialregime die wichtigen Positionen mit Angehörigen der Minderheit derTutsi. Heute beschuldigt Ruandas Regierung die Europäer, in der Kolonialzeit die Menschen nach westlich geprägten „Rassekriterien“ künstlich in Tutsi und Hutu eingeteilt zu haben, um besser regieren zu können. Das Ende der Kolonialherrschaft Anfang der Sechzigerjahre brachte eine Umkehrung der Machtverhältnisse in Ruanda. Nun übernahmen Vertreter der Hutu-Mehrheit die wichtigsten Positionen. Zahlreiche Tutsi flohen und bildeten Untergrundgruppen.

1990 starteten Tutsi-Rebellen der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) eine Offensive. Am 6. April 1994 kehrte Ruandas Hutu-Präsident Juvénal Habyarimana von einer Friedenskonferenz zurück, auf der er ein Abkommen mit der RPF geschlossen hatte. Sein Flugzeug wurde abgeschossen. Hutu-Extremisten beschuldigten die Tutsi-Rebellen, den Präsidenten umgebracht haben. Sie missbrauchten den Vorfall, um ihren Plan zur Vernichtung aller Tutsi umzusetzen.

Das Massaker dauerte von April bis Juli 1994. Weder Kinder noch Alte wurden verschont, ganze Familien ausgelöscht. Der Genozid wurde erst gestoppt, als RPF-Rebellen die Hutu-Milizen vertrieben. RPF-Chef Paul Kagame übernahm die Macht. Ein Ende der Gewalt bedeutete das aber nicht. Kagame schickte Kämpfer in das Nachbarland Kongo – offiziell, um Hutu-Milizionäre zu verfolgen. Doch es ging vor allem um Kongos Rohstoffe. An den Kämpfen beteiligten sich schließlich zahlreiche Staaten. Der „Afrikanische Weltkrieg“ von 1998 bis 2003 kostete mehrere Millionen Menschen das Leben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2014)

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