Das Massaker und der Ruf nach mehr Waffen

Analyse. Dass viele glauben, Waffen in den Händen von Studenten hätten das Blutbad in Virginia gestoppt, verdeutlicht die etwas andere Einstellung der Amerikaner.

Natürlich ist es leicht, die Amerikaner als ein Volk schießwütiger Waffennarren zu bezeichnen. Wenn man sich an Wochenenden die Schießstände in Texas anschaut, dann bekommt man schnell diesen Eindruck. Mit Gewehren, Pistolen, Revolvern und sogar mit Kalaschnikows wird hier auf Pappkameraden und Zielscheiben geschossen.

Das Stereotyp kommt immer gut an. Sei es, wenn man George Bush kritisieren will und ihn deshalb als Cowboy mit gezogener Pistole karikiert. Oder wenn man generell zustimmendes Kopfschütteln über die amerikanische Gesellschaft ernten will.

Schießübungen wie Tennisspielen

Doch das ist einer der wesentlichen Unterschiede zwischen den USA und Europa: In vielen Gegenden in den USA, vor allem im Mittleren Westen, sind Schießübungen am Wochenende das, was in Österreich der Sonntagsspaziergang oder das Tennismatch am Samstagnachmittag sind. Waffen gehören in den Vereinigte Staaten zum Alltag. Fast 40 Prozent der Einwohner haben eine Pistole, einen Revolver, ein Gewehr oder alles davon zu Hause.

Deshalb dreht sich die Diskussion nach dem Massaker an der „Virginia Tech“-Universität in Blacksburg nicht in erster Linie darum, ob nicht strengere Waffengesetze die Tat verhindert hätten. Denn das hätte sie vermutlich nicht: Cho Seung-Hui mit seiner Vergangenheit voller mentaler Probleme und seiner Zwangseinweisung in eine Psychiatrie hätte auch laut den geltenden Gesetzen keine Waffe kaufen dürfen. Die Debatte dreht sich dieser Tage vielmehr darum, ob nicht eine Waffe in den Händen von anderen Studenten oder Professoren den Amoklauf frühzeitig beendet hätte.

So zynisch das klingen mag, in einem Land mit 200 Millionen Waffen scheint das tatsächlich die einzige Lösung zu sein. Ein Waffenverbot ist in den USA nicht umsetzbar. Nicht gesellschaftspolitisch und auch nicht praktisch (wie zieht man 200 Millionen Waffen ein?). Nicht ohne Grund hat sich kein einziger der republikanischen aber auch demokratischen Präsidentschaftskandidaten nach dem Massaker für striktere Gesetze ausgesprochen.

Das Recht, eine Waffe zu besitzen, ist in den Vereinigten Staaten ein fundamentales. Die Gründungsväter sahen es als derart wichtig an, dass sie es 1789 im zweiten Verfassungszusatz verankerten (der erste garantiert die freie Meinungsäußerung). Es war ein revolutionäres Recht: In einer Zeit, als Machthaber in Europa aus Angst vor dem Volk ein Gewaltmonopol schufen, sollten die Bewohner der Vereinigten Staaten in der Lage sein, sich notfalls gegen ein tyrannisches Regime erheben zu können. Dass dieses Recht 218 Jahre später wenig sinnvoll ist, ändert nichts an dem Faktum, dass es als eine der unumstößlichen Grundfreiheiten gilt, eine Pistole im Nachtkastl haben zu dürfen.

Schießeisen ständig zur Hand

Natürlich gibt es kaum eine schwachsinnigere Idee, als Menschen in einem Land wie Österreich, das keine derartige Geschichte hat und in dem sich die mit Schusswaffen verübten Straftaten im Promillebereich bewegen, mehr Waffen zu geben. Die Verbrechensstatistik würde wohl ganz anders aussehen, könnte jeder Choleriker bei einem Wutanfall zur Glock greifen.

In einem Land wie den USA mit derart leichtem Zugang zu Waffen lässt man dagegen besser ein paar auch in den Händen der Guten. Welche Folgen das haben kann, zeigt beispielsweise Florida. Als Miami vor mehreren Jahren seinen Bewohnern das versteckte Tragen von Waffen erlaubte, sank die Zahl der Überfälle auf Einheimische – dafür stiegen jene auf Touristen. Denn Verbrecher konnten sich sicher sein, dass Touristen unbewaffnet sind. Bei Einheimischen mussten sie dagegen tödliche Gegenwehr fürchten.

Und auch die Stadt Kennesaw im US-Bundesstaat Georgia gilt als Beispiel. Hausbesitzer sind hier per Gesetz dazu verpflichtet, eine Waffe samt Munition im Hause zu haben. Das Ergebnis nach Einführung der Vorschrift 1982 war ein deutlicher Rückgang der Verbrechen. Und noch heute rühmt sich die Ortschaft, eine der geringsten Verbrechensraten rund um die Hauptstadt Atlanta zu haben.

Wie im Wilden Westen

Die Auswüchse sind freilich Gesetze wie das „Stand-your-Ground“-Gesetz, das immer mehr US-Bundesstaaten umsetzen. Demnach kann jeder mit tödlicher Gewalt reagieren, der sich von jemand anderem bedroht fühlt. Die Pflicht zum Rückzug oder zur Deeskalation gilt nicht mehr. Das ist tatsächlich ein Rückfall in den Wilden Westen, wo am Ende jener Recht hat, der schneller schießt.

Doch in dieser Gesellschaft scheint Gewalt wirklich die einzige Möglichkeit zu sein, Gewalt zu bekämpfen.

Inline Flex[Faktbox] LEXIKON. Waffenstatistik("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2007)

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