Polen: Wo Handtaschen Verdacht erregen

Sittenwächterin lässt die „Teletubbies“ auf „homosexuelle Propaganda“ untersuchen.

Warschau.Ewa Sowinska hat eine Mission. Sie will die unschuldigen Kinder Polens vor den bösen Einflüssen dieser Welt schützen. In ihrem unermüdlichen Kampf hat sie nun einen neuen Feind ausgemacht: die Teletubbies, genauer gesagt die rundliche Figur des Tinky Winky. Die Kinderrechtsbeauftragte der polnischen Regierung hegt den ungeheuerlichen Verdacht, dass die Kindersendung heimlich „homosexuelle Propaganda“ transportiere.

Einige Indizien sprächen dafür, glaubt die Ärztin erkannt zu haben. Vor allem eine Handtasche hat den Argwohn der Sittenwächterin hervorgerufen. „Ich habe bemerkt, dass Tinky Winky eine Handtasche trägt, aber mir war nicht bewusst, dass er ein Junge ist“, sagt Ewa Sowinska. „Später habe ich erfahren, dass da ein homosexueller Zusammenhang verborgen sein kann.“ Um das lückenlos zu klären, wird ein Fachgremium die Sendung unter die Lupe nehmen. Sollten die herbeigerufenen Psychologen zur selben Schlussfolgerung wie Ewa Sowinska kommen, könnte dies das unrühmliche Ende der TV-Karriere von Tinky Winky und seinen Freunden bedeuten.

Besorgt um die Moral

Doch Ewa Sowinska ist nicht die Einzige, die sich Sorgen um die moralische Entwicklung der Kinder und Jugendlichen macht. Immer öfter werden in Polen Homosexuelle von selbsternannten Sittenwächtern angegriffen. So wittern etwa die Anhänger der nationalistischen Liga Polnischer Familien (LPR) allerorten Propaganda von Schwulen und Lesben.

Erziehungsminister Roman Giertych, LPR-Vorsitzender und stellvertretender Regierungschef, hat erst vor kurzem einen umstrittenen Gesetzentwurf seiner Partei vorgestellt, der „homosexuelle Propaganda“ an Schulen unter Strafe stellt. So müssen etwa Schulleiter, die im Unterricht oder zum Thema Aids Informationsmaterial homosexueller Gruppen zulassen, mit Konsequenzen rechnen. Lehrer, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen, müssen um ihren Arbeitsplatz fürchten.

Doch die meisten Polen sind nicht über die Teletubbies entsetzt, sondern über Ewa Sowinska. Sie fürchten zur Lachnummer Europas zu werden. In zahlreichen Internet-Foren wird Spott und Häme aus ganz großen Kübeln über der Moralhüterin gegossen. Die mächtigen Männer in Warschau finden die Angelegenheit gar nicht lustig. Parlamentspräsident Ludwig Dorn hat sich in die Sache eingeschaltet und will Ewa Sowinska zurückpfeifen, um die Regierung nicht der Lächerlichkeit Preis zu geben.

Alle Anzeichen sprechen also dafür, dass der „Fall Teletubbies“ im Sande verlaufen wird. Doch der Ruf des armen Tinky Winky ist nach diesem Sex-Skandal in Polen wohl ruiniert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2007)

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