Warum musste der „Bankier Gottes“ sterben?

(c) AP (Andrew Medichini)
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Italien. 25 Jahre, nachdem Roberto Calvi, der Chef der „Banco Ambrosiano“, erhängt unter einer Brücke in London gefunden wurde, gehen Verschwörungs- theorien um.

Rom. 18. Juni 1982, 7.30 Uhr morgens. In London, unter der Blackfriars Bridge über der Themse, wird ein Erhängter gefunden. Well, so sagt die Polizei, ein Penner halt, wie so viele. Selbstmord. Punkt.

Stunden später ist klar, dass der Tote ein Bankier ist: der 62-jährige Roberto Calvi, ein Italiener. Verfolgt von Staatsanwalt und Milliardenschulden, den durch Betrug herbeigeführten Zusammenbruch seiner „Banco Ambrosiano“ vor Augen, ist Calvi wohl geflüchtet. Aus Italien erst, dann aus der Welt.

Fast 20 Jahre hält sich jene These. Dann gewinnen Zweifel Oberhand. Calvi, so weiß man heute, wurde ermordet. Nur von wem? Von Leuten, die fürchteten, er könnte über seine Geld- und Auftraggeber erzählen, ihre Beziehungsgeflechte zerreißen?

Italiens Polizei glaubte 2003, die Mörder gefunden zu haben: den früheren Finanzchef der sizilianischen Mafia, einen Ex-Bandenchef aus Rom, einen „Immobilienunternehmer“ und einen mediokren Schmuggler. Doch vorigen Mittwoch, am 6. Juni, ließ ein römisches Schwurgericht die vier laufen, ebenso wie die Kärntner Freundin einer der Angeklagten – „aus Mangel an Beweisen“. Auch die Frage nach den Auftraggebern bleibt unbeantwortet. Zwar läuft dazu ein eigenes Verfahren – aber schon so lange, dass kaum jemand glaubt, es werde je das Licht eines öffentlichen Prozesses erblicken.

Pakt mit Freimaurern und Mafiosi

Roberto Calvi hatte eine steile Karriere hingelegt. 1971 wurde er Direktor der „Banco Ambrosiano“, die man „Bank der Priester“ nannte und unter Aufsicht der Erzdiözese Mailand stand. Calvi aber wollte mehr. Er paktierte mit der Freimaurerloge „P 2“ (Propaganda 2), die ein Netz vor allem unter konservativen, autoritaristischen Angehörigen der Elite geknüpft und Pläne für einen Putsch geschmiedet hatte, sollte Italien links werden. Er paktierte mit dem sizilianischen Bankier Michele Sindona, dem Papst Paul VI. große Gelder anvertraut hatte – mit Folgen: Sindona stand im Bund mit der Mafia, durch seine illegalen Geschäfte verlor der Vatikan in den 70ern rund 50 Millionen Dollar (damals etwa eine Milliarde Schilling, Anm.).

Über Sindona kam Calvi ins Zentrum der Vatikanbank IOR, des „Instituts für religiöse Werke“ unter Leitung von Erzbischof Paul Marcinkus. Mit dem hemdsärmeligen Kanadier und Sindona gründete Calvi seine erste Bank im karibischen Geldparadies Nassau und begann mit Schiebereien. Die Vatikanbank diente ihm mit ihrem Namen, mit Bürgschaften, mit ihrer Undurchsichtigkeit und Unzugänglichkeit für staatliche Ermittler. Calvi wusch Mafiageld und spekulierte mit Vatikan-Millionen, machte sich bei Papst Johannes Paul II. aber auch durch diskrete Geldtransfers an die polnische Gewerkschaft „Solidarnosc“ um 1980 unentbehrlich.

Zyankali im Hochsicherheitsgefängnis

Jedenfalls prüfte man weder im Vatikan noch in der eigenen Bank Calvis Gebarung. Erst, als das Defizit der Banco Ambrosiano (damals gut 1,3 Milliarden Dollar) ruchbar und der Kollaps unvermeidbar wurde, rückte man von ihm ab. Am 5. Juni 1982 schrieb er einen verzweifelten Brief an Johannes Paul II., Tenor: „Ich half Ihnen, nun verlassen Sie mich!“ Zwei Wochen später war er tot. Knapp vier Jahre später starb auch der Bankrotteur Sindona: Zyankali im Espresso – in einem Hochsicherheitsgefängnis.

Calvis kirchliche Helfer flohen in den Vatikan; erst Jahre später zahlte die Kirche an Gläubiger der Ambrosiano-Bank 244 Mio. Dollar, „freiwillig, ohne Schuldgeständnis“. Die Loge P2 mit ihren offiziell 962 Mitgliedern wurde 1981 verboten; ihre Seilschaften blieben unbehelligt, nie konnte (oder durfte) klar aufgedeckt werden, was sie wirklich wollte. Alle Ermittlungen, auch parlamentarischer Kommissionen, verliefen im Sand.

Nun aber ist eine Situation da, die nicht nur Verschwörungstheoretiker, sondern auch rationale Leute ans sinistre Reich der P2 erinnert: Mitte 2006 flog ein Spionagenetz auf, das von der Telecom Italia ausging, dessen Fäden aber auch der Militärgeheimdienst „Sismi“ spann. Der betrieb eine Zentrale in teuerster Stadtlage Roms und hörte illegal vor allem Telefone linker Politiker ab; es sollte politisch verwertbares Material gefunden werden – nicht zuletzt gegen Romano Prodi.

Prodi und seine Leute, 2006 an die Regierung gekommen, taten sich schon schwer damit, den zwielichtigen Sismi-Chef Nicolò Pollari abzulösen. Dann schlug das Imperium auch noch zurück: Als das Finanzministerium in formal korrekter, politisch aber brüsker Weise versuchte, hohe Offiziere der Finanzpolizei zu versetzen, behauptete die Rechte in einer wilden Medienkampagne, die Linke wolle nur Missliebige loswerden, da diese gegen linke Banken ermittelt hätten. Dass die Offiziere mit den genannten Ermittlungen überhaupt nichts zu tun gehabt hatten, wurde lange verschwiegen.

Silvio Berlusconi, der Puppenspieler?

Heute weiß man, dass es bei dem Streit um einen Kampf zwischen dem „alten Apparat“ der Finanzpolizei und dem „neuen Apparat“ der Linksregierung ging. Finanzpolizei-Boss Roberto Speciale unterlag – und inszeniert sich als Verfolgter. Bevor er seiner Entlassung folgte, besetzte er mit rückdatiertem Dekret noch die Schaltstellen der Finanzpolizei mit seinen Leuten. „La Repubblica“ wies nach, dass Speciale und Sismi-Chef Pollari verbandelt sind. Beide bauten ihre Behörden hauptsächlich unter Premier Silvio Berlusconi auf. Dass man vor allem dessen Gegner bespitzelte, wundert keinen. Nur: Wer war der Auftraggeber? Fühlten sich Telecom und Sicherheitsdienste – wie einst die P2 – als Hüter eines „rechten“ Italiens und glaubten, die „linke Gefahr“ im Dienst einer höheren Moral abwehren zu müssen? Oder gab's ein politisches Mandat? Wie auch immer: Ein Bindeglied gibt es. Auch Berlusconi wurde von der Loge „P2“ als Mitglied geführt.

ZUR PERSON

Roberto Calvi(1920-82)war ab 1971 Chef der „Banco Ambrosiano“ der Erzdiözese Mailand. Er knüpfte Kontakte zu Freimaurern, zur Bank des Vatikan, zur Mafia, zu Geheimdiensten und Konservativen und wickelte zahllose halbseidene Geschäfte ab. Als seine Bank vor dem Kollaps steht und Transaktionen auffliegen, flieht er nach London und wird dort am 18. Juni 1982 unter der Blackfriars Bridge an ein Baugerüst geknüpft gefunden. Mitglieder der italienischen Freimaurerloge P-2, der Calvi angehörte, nannten sich auch „schwarze Brüder“ – manche sagen, dass der Fundort ein Hinweis auf die Mörder ist. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2007)

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