Griechenland: Flüchtlingselend am Urlauberstrand

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Auf Hoher See ausgesetzt, geschlagen, misshandelt: Um den Ansturm von Flüchtlingen zu stoppen, wirft die Küstenwache auf den ägäischen Inseln auch Menschenrechte über Bord.

ATHEN/ISTANBUL. Samos, Lesbos, Chios – diese Namen wecken bei vielen Österreichern Erinnerungen an unbeschwerte Urlaubstage. An Fischer, die müßig ihre Netze knüpfen. An malerische kleine Häfen. An die schmucken Uniformen der Küstenwache.

Doch hinter der heilen Urlaubswelt unter südlicher Sonne verbirgt sich eine andere, heillose, dunkle Realität. Die griechischen Fischer finden in ihren Netzen immer öfter Leichenteile. Hinter der Hafenpromenade von Samos wurden 400 Flüchtlinge in eine halb verfallene Tabakfabrik gepfercht, unter „erbärmlichen und unmenschlichen Bedingungen“ – so sah es eine Delegation des EU-Parlaments im Juni 2007.

Die Küstenwache von Lesbos führt einen erbitterten Krieg gegen eine „islamische Invasion“. So nennt ihr Kommandant, Apostolos Mikromastiras, den Ansturm von Flüchtlingen aus Pakistan, Iran und Bangladesch. Seine Männer kennen ihre Befehle: Aus der Türkei kommende Flüchtlingsboote sind „sicher zu stoppen und zur Umkehr zu bewegen“. Konkret heißt das: In voller Kraft umkreisen, bis die Wellen sie (fast) zum Kentern bringen. Schlauchboote anstechen, damit sie es nur noch zurück zur nahen türkischen Küste schaffen. Flüchtlinge einschüchtern, schlagen, auf unbewohnten Inseln aussetzen. Oder gleich über Bord werfen.

Seltene Auswüchse? Einzelfälle? An die Wand eines früheren Flüchtlingslagers auf Lesbos hat ein Inhaftierter geschrieben: „Die Wahrheit mag bitter sein, aber man muss sie erzählen“. Das machten die im Rahmen von „Pro Asyl“ vereinten deutschen NGOs zum Titel ihres unlängst präsentierten Berichts. Zwei Monate lang hatten sie mehr als 100 Flüchtlinge, Fischer und Beamte befragt. Die Antworten glichen einander und bestätigten Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks und der EU. Das Bild wurde düster, aber rund.

Nun schlagen in Griechenland die politischen Wellen hoch: Redeschlachten im Parlament, Titelseiten in den Zeitungen. Oppositionsführer Papandreou schämte sich öffentlich, eine Abgeordnete sprach vom „griechischen Guantanamo“. Die Regierung versprach, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.

Offenbar ohne Erfolg. Mittwoch berichtete die türkische Küstenwache von 13 Flüchtlingen aus Mauretanien, die ihre griechischen Kollegen vor einer kleinen Insel in Schlauchbooten ausgesetzt hatten. Viele Griechen halten den Vorwurf – nicht der erste dieser Art – indes für eine gezielte Provokation. Wird die jahrhundertealte Rivalität zwischen Griechen und Türken nun auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen?

Krieg an Europas Pforte

Fest steht: Es herrscht Krieg an der Pforte Europas, fast unbemerkt vom Rest der EU. Während die Flüchtlingszahlen auf den Kanaren zurückgehen und auf Malta und Lampedusa stagnieren, wird die kaum kontrollierbare Inselwelt der Ägäis gestürmt. Die meisten Asylsuchenden kommen über den Landweg durch die Türkei, bis sie an der Küste die wenige Kilometer entfernten griechischen Inseln sehen. Schlepper setzen sie über. In den vergangenen fünf Jahren haben 385.000 Menschen versucht, illegal nach Griechenland zu kommen. 2004 wurden 4469 Asylanträge gestellt, im ersten Halbjahr 2007 waren es schon 14.594.

Die Reaktion der griechischen Behörden: Schotten dicht. Der Anteil der bewilligten Anträge liegt weit unter einem Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind es 30 Prozent, in Italien 45%. Das Recht auf Asyl existiert in Griechenland nur auf dem Papier. Im Regelfall werden Ankommende inhaftiert, ohne Information über Rechte, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Dolmetsch, ohne Anwalt.

Doch die humanitären Organisationen richten ihre Kritik vor allem an die EU: Den EU-Außenposten werde die ganze Last aufgebürdet, ohne Transfer von finanziellen Mitteln für die Bewältigung des Ansturms.

Damit rückt Europa ins Blickfeld – ein Europa, das zusieht, wie an der Wiege seiner Kultur das Asylrecht zu Grabe getragen wird.

AUF EINEN BLICK

Die Inseln der Ägäis werden zur brisantesten Grenze der EU. Die Flüchtlingszahlen steigen rasant. Oft werden „Boat People“ von der griechischen Küstenwache zurückgetrieben oder ausgesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2008)

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