Strafvollzug: USA gehen von Erziehungslagern ab

Reuters (Fabrizio Bensch)
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Nach Missbrauchs- und Todesfällen gibt es einen Trend weg von Boot Camps für jugendliche Straftäter.

Washington. Sie traten auf ihn ein; zerrten ihn hoch, weil sie glaubten, er wolle sich vor dem Laufen drücken; sie schrieen; schleppten ihn ein paar Meter und ließen ihn dann wie einen Sack Kartoffel fallen. 30 Minuten lang brüllten, prügelten und traten die acht erwachsenen Wachen auf den 14 Jahre alten Buben ein. Am nächsten Tag war Martin Lee Anderson tot.

Das war der Fall, der 2006 zur Auflassung aller „Boot Camps“ in Florida führte. Man wolle weg von den Erziehungslagern nach militärischem Vorbild für straffällige Jugendliche und „mehr auf Betreuung setzen, bei der der Einsatz von Gewalt eingeschränkt ist“, erklärte der damalige Gouverneur Jeb Bush.

Florida war nicht der erste Bundesstaat, der sich von den einst hochgelobten „Boot Camps“ verabschiedete. Und es war auch nicht der erste, in dem es zu Misshandlungen von Insassen und zu einem Todesfall kam: Der US-Rechnungshof erhob, dass allein im Jahr 2005 in öffentlichen und privaten Lagern 1619 Boot-Camp-Mitarbeiter in Missbrauchsfälle involviert waren. Mindestens zehn Jugendliche starben zwischen 1990 und 2004.

„Es hat sich gezeigt, dass diese Boot Camps mehr Schaden anrichten als sie helfen“, erklärt Bob Schwartz, Direktor des „Juvenile Law Center“. Erhebungen hätten gezeigt, dass die Gefahr, rückfällig zu werden, nach einem Boot Camp ähnlich hoch sei wie nach einem anderen Strafvollzug. Das Problem sei der militärische Stil der Lager, mit dem „über alle drübergefahren wird“, und die mangelnde Nachbetreuung.

Boot-Camps für jugendliche Straftäter gibt es in den USA seit den 80er-Jahren. Je nach Bundesstaat kann ein Richter einen Jugendlichen zu einem Erziehungslager verurteilen, teils kann der Betroffene auch einen Aufenthalt im Boot Camp (90 bis 180 Tage) als Alternative zu einer bedeutend längeren Haftstrafe wählen.

Boom in den 90er Jahren

In den 90er-Jahren gab es einen regelrechten Boom bei den Erziehungslagern. Laut Auskunft des US-Justizministeriums gab es 1997 66 Boot Camps in 24 verschiedenen Bundesstaaten. Auch private Organisationen richteten derartige Boot Camps ein und versprachen verzweifelten Eltern, ihre schwierigen Kinder umzuerziehen.

Mittlerweile streichen mehr und mehr Bundesstaaten die Camps aus ihrem Strafvollzug. Von den einst 66 Lagern waren 2006 nur noch 43 übrig. Die Zahl der Insassen sank von 5000 im Jahr 1997 auf weniger als 2600 im Jahr 2006.

„Kaum straffällige Marines“

„Das Problem ist, dass es über den militärischen Stil hinaus nicht viel Betreuung gibt“, meint Doug Thomas vom „National Center for Juvenile Justice“ in Pennsylvania. „Die Jugendlichen lernen, hart zu sein und versuchen nur, den Aufenthalt zu überstehen.“ Zudem sei die Missbrauchsgefahr sehr hoch, wenn Wärter die Aufgabe hätten, als harte Erzieher aufzutreten. „Das gerät schnell außer Kontrolle.“

Andere freilich schwören auf die „Get-Tough“-Methode. „Die Kinder lernen Disziplin, sie lernen, hart mit sich zu sein; sie lernen, was sie alles erreichen können, wenn sie sich nur anstrengen. Das sind Lektionen, die ihnen durchs Leben helfen“, erklärt der Direktor eines Boot Camps in Pennsylvania, der nicht genannt werden will. Nachsatz: „Kein Wunder, dass Marines (US-Elitesoldaten, Anm.) kaum straffällig werden.“

Siehe auch Seiten 4 und 15

BOOT CAMP. Statt Haft

Boot Camps, Erziehungslager nach militärischem Vorbild für straffällig gewordene Jugendliche, gibt es in den USA seit den 80er-Jahren. Sie können von Bundesstaaten aber auch von Bezirken eingerichtet werden. Ein Richter kann einen Jugendlichen (je nach Definition eines Bundesstaates jünger als 17, 18 oder 19 Jahre) zu einem Boot Camp verurteilen. Teils kann der Betroffene ein Lager auch als Alternative zu einer längeren Gefängnisstrafe wählen. Die Erziehung in einem Boot Camp dauert zwischen 90 und 180 Tage.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2008)

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