Indien: „Wir haben heute keine Vorbilder mehr...“

(c) Privat
  • Drucken

Heute vor 60 Jahren wurde Mahatma Gandhi ermordet. Seine Prinzipien leben aber weiter, sagt P. V. Rajagopal von der „Gandhi Peace Foundation“.

Delhi. P. V. Rajagopal, stellvertretender Vorsitzender der „Gandhi Peace Foundation“ in Delhi, setzt sich seit mehr als 20 Jahren für die Rechte von Unberührbaren und Adivasis, den Ureinwohnern Indiens, ein. Im Oktober 2007 marschierte „Ekta Parishad“, eine Organisation, die er gründete, mit 25.000 Landlosen und Landarbeitern aus allen Teilen Indiens in 28 Tagen von Gwalior nach Delhi, um der Forderung nach einer Landreform Nachdruck zu verleihen. Der 350 Kilometer lange, gewaltlose „Janadesh“-Marsch folgte den Prinzipien Gandhis, der heute vor 60 Jahren von einem Hindu-Fanatiker erschossen wurde.

Die Presse: Vor 60 Jahren wurde Mahatma Gandhi ermordet. Was hat Indien durch seinen Tod verloren?

P. V. Rajagopal: Eine Menge. Gandhi war ein Vorbild. Wenn er etwas gesagt hat, dann hat er danach gehandelt. Er hat einen einfachen Lebensstil gefordert und diesen auch selbst gelebt. Unglücklicherweise haben wir heute keine Vorbilder mehr in diesem Land. Das ist der große Verlust.


Wieso hat Gandhi noch heute so einen starken Einfluss auf Sie?

Rajagopal: Gandhis Prinzip war es, danach zu handeln, was für die Menschen gut war. Manche seiner Anhänger sind nach seinem Tod nach Delhi gegangen, um das Land zu regieren. Doch sie haben eine Entwicklung nach amerikanischem Muster herbeigeführt, die nicht im Sinne Gandhis ist. Heute geht es nur um Industrialisierung. Wir betrachten das Problem aus einem anderen Blickwinkel. Wir arbeiten mit den Armen, versuchen ihnen Macht zu geben, sie zu organisieren und für ihre Rechte zu kämpfen.

Wie hätte sich Indien anders entwickeln können?

Rajagopal: Indien hätte sich als ein Entwicklungsmodell für die Welt nach Gandhis Vorbild etablieren können, also sich zuerst um die ärmsten Schichten der Gesellschaft zu kümmern, und nicht um die multinationalen Konzerne.


Wie reagiert der indische Staat, wenn er mit Gandhis Prinzip des gewaltlosen Widerstandes konfrontiert wird?

Rajagopal: Sehr paradox. Die Politik in unserem Land ist sehr widersprüchlich. Zum einen hat der Staat erst kürzlich das 100-jährige Jubiläum von Gandhis Satyagraha gefeiert, zu dem auch das Prinzip des gewaltlosen Widerstands gehört. Wir haben gefragt: Was feiert ihr da eigentlich? Es gibt viele Menschen, die heute nach diesem Prinzip handeln. Wieso kümmert ihr euch nicht um deren Belange?


Was haben Sie mit dem Janadesh-Marsch erreicht?

Rajagopal: Indiens Regierung hat danach ein Gesetz erlassen, wonach jede indigene Familie zwei Hektar Land bekommt. Das war eine unserer Kernforderungen. Jetzt gehen wir mit dieser Botschaft ins Land und informieren die Menschen, damit sie diese Gelegenheit nutzen. Dann haben wir die Einrichtung eines Landreform-Rates unter Vorsitz des Premierministers gefordert. Die Regierung hat diesen Rat jetzt eingerichtet, auch ich bin darin vertreten. Wir müssen die Landfrage endlich klären.

Ausgerechnet in Gujarat, Gandhis Heimat, wurde kürzlich der Hindu-Nationalist Narendra Modi erneut in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt.

Rajagopal: Dahinter steht die gehobene Mittel- und Oberschicht des Landes sowie die Auslandsinder. Ihnen ist Gandhi nicht wichtig. Für sie zählt nur wirtschaftliches Wachstum. Sie sehen in Narendra Modi den Mann, der für eine wirtschaftliche Entwicklung steht, die sie sich wünschen.

Was ist denn dann von Gandhis Ideen noch geblieben?

Rajagopal: Die Frage ist, was sichtbar ist und was nicht. Sichtbar ist das Verhalten der gehobenen Mittel- und der Oberschicht. Diese Menschen sind verrückt nach Geld, nach Macht, sie wollen alles an sich reißen. Das echte Indien lebt in den Dörfern. Doch diese Menschen werden durch Bollywood-Filme und durch die Werbung der multinationalen Konzerne verführt.

ZUR PERSON

P. V. Rajagopal ist Vize-Vorsitzender der „Gandhi Peace Foundation“ in Delhi und Gründer von „Ekta Parishad“. Seit über 20 Jahren setzt er sich für die Rechte von Unberührbaren und Adivasis, Indiens Ureinwohner, ein. [Zastiral]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.