Die Berliner Rebellen des Stillstands

Berlin Tempelhof
Berlin TempelhofAPA/EPA/MAJA HITIJJ
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Bürgerinitiativen wehren sich rabiat gegen jede Veränderung in ihrem Viertel, Linksextreme greifen zur Gewalt. Beider Feindbilder: Investoren und zugezogene Süddeutsche.

Am Ende musste auch die dritte Linde weichen. Schrille Schreie und Heulkrämpfe übertönten den Klang der Kettensäge. Dreieinhalb Monate lang hatten Schöneberger Wutbürger erbittert gekämpft: um drei Bäume am Rand einer schäbigen, von Gestrüpp überwucherten Brachfläche, die ein unerwünschter Neubau mit 34 Wohnungen füllen sollte. Mit Trillerpfeifen zogen die Anwohner der Crellestraße im Juli vorigen Jahres los, blockierten die Einfahrt und pflanzten ein Protestcamp auf. Bis Mitte Oktober hielten zehn unermüdliche Baumretter abwechselnd in einer Hängematte in luftiger Höhe nächtliche Wache.

Die Crellestraße ist ein gutbürgerlicher, verkehrsberuhigter Altbaukiez mit schönen Gründerzeitfassaden. Bäume gibt es hier genug, ums Eck liegt das Gleisdreieck, an dem vor Kurzem ein neuer Park angelegt wurde. Den Anrainern ging es also gar nicht um die Linden. Sie wollten einfach nicht, dass ihnen ein neues Haus den Blick verstellt. Und dass fremde Leute von irgendwoher hier einziehen und den dörflichen Charakter verändern. Groß war die Wut, laut der Protest, aber an Argumenten war die Initiative arm: Der Investor hatte uneingeschränktes Baurecht und alle Genehmigungen. Drei Viertel der neuen Mieter und Wohnungsbesitzer kommen aus einem Umkreis von 500 Metern.

Die Crellestraße ist kein Einzelfall. Sie ist ein Symptom für den rabiaten Widerwillen, den sehr viele Berliner gegen jede Art von Veränderung entwickelt haben: Alles muss so bleiben, wie es ist. Dabei bewohnen sie eine Stadt, die sich tatsächlich rasanter verändert als jede andere Metropole in Europa, die wie ein Magnet wirkt für junge Menschen aus aller Welt. In Prenzlauer Berg etwa tauschten sich die 145.000 Einwohner allein zwischen 1991 und 1996 zur Hälfte aus. In einer zweiten Welle folgten den Studenten und Kreativen im vorigen Jahrzehnt gut verdienende Jungfamilien mit Kleinkindern. Die Häuser werden saniert, die Mieten steigen. Die einen wissen damit zu leben, die anderen stauen ohnmächtige Hassgefühle auf. Bis ein oft nichtig wirkender Anlass den Protest formiert. Wie vorigen Sommer, als Zehntausende auf die Straße gingen, um die East Side Gallery zu „retten“. Tatsächlich sollten nicht mehr als zehn Meter des mit Graffiti besprühten Mauerrests ein Stück weit versetzt werden, um Zugang zu einem Neubauprojekt zu schaffen.

Rassismus gegen Schwaben. Während Bürgerinitiativen den städtebaulichen Stillstand in gesellschaftlich anerkannten Formen erzwingen, greifen Linksextreme zur Gewalt gegen Bauprojekte. Im Vorsommer zündeten Aktivisten Gerüste an, fluteten frisch gegossene Fundamente und schlugen Fensterscheiben ein. Im Netz riefen sie auf der „Berliner Liste“ Nachahmer zu ähnlich „kreativen Aktionen“ gegen 100 Objekte auf. In einem Bekennerschreiben zum Anschlag auf die schicken Choriner Höfe in Mitte hieß es: „Dieses Schlaraffenland voller Biomärkte und Nobelkarossen verdirbt uns und allen anderen ohne pralle Brieftasche schon seit Langem den Appetit“. Ob gesittet oder gewaltsam, immer geht es um den Kampf des Alten gegen das Neue – oft gezielt gegen gut verdienende, Kinder gebärende Fremde. So verfestigt sich im alternativen, vorgeblich weltoffenen Berlin eine neue, sehr hässliche Form von Rassismus.

Zuweilen richtet er sich gegen Ausländer, denen der Eintritt in Clubs verwehrt wird: „No tourists!“. Öfter trifft es, vorgeblich humoristisch verbrämt, die Zugezogenen aus dem reichen Süden und Westen der Bundesrepublik – vor allem die verhassten Schwaben. Da sie an ihrem Dialekt leicht erkennbar sind, bieten sich Baden-Württemberger als Zielscheibe für Pöbeleien aller Art an. Dazu kommt das Klischee, die Berliner mit schwäbischem Migrationshintergrund seien besonders tüchtig, effizient, Kinder liebend und ein wenig bieder – lauter Eigenschaften, die viele alternative, linksgedrehte Berliner zutiefst verachten.

Also beschmieren sie ein Denkmal des schwäbischen Philosophen Hegel mit Currywurst und besprühen Hauswände mit Hassparolen wie „Tötet Schwaben!“, „Blöde Zugezogene“ oder „Kauft nicht bei Schwaben“ – Letzteres geschmackvollerweise in der Rykestraße, wo auch eine Synagoge steht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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