Hochwasser: "30 Stunden warteten wir frierend"

(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
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Zehntausende mussten in Bosnien und Herzegowina und Serbien die Flucht vor den Fluten ergreifen. Die Zahl der Todesopfer ist noch unklar, die Schäden gehen in die Milliarden.

Obrenovac. Helikopter fliegen knatternd über der von der Außenwelt abgeriegelten Unglücksstadt. Nur die von Serbiens Hauptstadt Belgrad aus über die aufgeweichten Uferstraßen der Save holpernden Konvois von Militär- und Rettungsfahrzeugen können den Polizei-Checkpoint noch passieren. „Hier geht's nicht mehr weiter“, weist ein übernächtigter Beamter am frühen Sonntagmorgen die angereisten Berichterstatter am Ortseingang der überfluteten Kleinstadt Obrenovac resolut zurück. Wie lange die Rettung der in ihren Häusern eingeschlossenen Hochwasseropfer noch dauern werde? „Sicher noch lange“, sagt er und zuckt müde mit den Schultern: „Viele Menschen warten immer noch auf Hilfe.“

Wie ein Tsunami war das Hochwasser über die 20.000 Einwohner zählende Kleinstadt 30 Kilometer westlich von Belgrad hereingebrochen. „Ich hörte ein Geräusch wie beginnenden Regen“, erzählt der dunkelhaarige Familienvater Dragan in seinem Notquartier bei Verwandten im Belgrader Stadtteil Vračar: „Und plötzlich stand in unserem Haus innerhalb von zehn Minuten eineinhalb Meter hoch das Wasser.“

Seiner Familie sei gerade noch die Flucht auf den Balkon eines Nachbarhauses geglückt, berichtet der stoppelbärtige Mann: „30 Stunden warteten wir frierend und ohne Wasser auf Hilfe.“

Einmal sei ihnen von einem Rettungsboot ein Brotlaib zugeworfen worden: „Der versank im Wasser. Es war das reine Chaos. Wir fühlten uns völlig alleingelassen.“

Premier sagt Wien-Besuch ab

Wie Schlammseen wirkten die Luftaufnahmen der betroffenen Hochwassergebiete am Wochenende. Zehntausende von Flüchtlingen, eine noch ungewisse Zahl von Todesopfern – und Schäden in Milliardenhöhe: Die Folgen des Jahrhunderthochwassers in Serbien und Bosnien und Herzegowina sind noch kaum absehbar. Allein in Bosnien meldeten die Rettungskräfte bis Sonntagnachmittag mehr als 20 Todesopfer, in Serbien wurden bis Sonntag von den eher wortkargen Behörden zunächst acht Tote bestätigt. Doch noch ist die Zahl der von ihren Angehörigen vermissten Personen nicht erfasst, es werden wesentlich höhere Opferzahlen befürchtet. „Wir wissen nicht, was uns erwartet, wenn das Wasser abfließt“, so Serbiens Premier Aleksander Vučić, der seinen für Sonntag und Montag geplanten Besuch in Wien aufgrund der Hochwasserkatastrophe absagte.

Russland, die EU- und Nachbarstaaten haben am Wochenende Rettungstrupps, Schlauchboote und Wasserpumpen nach Bosnien und Serbien geschickt. Groß ist die Welle der Hilfsbereitschaft vor allem in den betroffenen Ländern selbst. Tausende von Freiwilligen schaufelten am Wochenende Sand in Säcke. Kleidung, Windelpackungen und Wasserflaschen stapeln sich in den Notlagern. „Die nationale Katastrophe eint die Nation“, freut sich das Boulevardblatt „Alo!“. Kritik wird von den Opfern jedoch nicht nur an den vorab eher verharmlosenden Wetterprognosen und der chaotischen Koordinierung der Einsatzkräfte geübt.

Nicht nur weggespülte Minen und Warnschilder dürften in Bosniens früheren Kriegsgebieten bald für neue Probleme sorgen: Nach der Jahrhundertflut drohen in den Hochwasserregionen Epidemien, Erdrutsche und Rattenplagen. Mit neuen Sandsackwällen rüstet sich vor allem Belgrad für den dort am Dienstag erwartet Höchststand der Save. Doch obwohl nach tagelangem Dauerregen der Wasserpegel zumindest am Oberlauf und den Zuflüssen der Save bereits wieder leicht am Sinken ist, scheint eine Entspannung für die betroffenen Regionen noch kaum in Sicht.

„Alles ist verloren“

Nicht nur Brücken, Häuser und Straßen wurden durch die Fluten zerstört, sondern auch Existenzen. „Wir haben unser Leben gerettet, zum Glück, aber sonst nichts“, sagt in der Belgrader Sumica-Halle ein verzweifelter Hochwasserflüchtling aus Obrenovac: „Alles, was wir hatten, ist verloren.“

FAKTEN

In Serbien und Bosnien-Herzegowinahaben die Meteorologen mittlerweile die größten Niederschlagsmengen seit 120 Jahren registriert. Am schlimmsten war die Situation am Sonntag in Obrenovac, einer Stadt etwa 30 km westlich von Belgrad. Der Fluss Save, der durch Nordbosnien und Westserbien fließt, sorgt für starke Überschwemmungen. Belgrad bereitet sich nun auf Überflutungen vor: Der Wasserhöchststand wird dort am Dienstag erwartet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2014)

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